Die nichtchristlichen Religionen entspringen nicht einfach menschlicher Willkür und Phantasie, sondern auch sie verdanken sich dem Wirken und Sich-Bezeugen Gottes. Sie sind einem Christen darum nicht völlig fremd, sondern enthalten – unter vielen Irrtümern – manche sehr respektable Wahrheit, die man anerkennen sollte. Doch wieviel Wahrheit andere Religionen auch enthalten mögen, so fehlt ihnen ohne Christus doch der Zugang zu Gott, den sie haben müssten, um ihren Anhängern das Heil zu vermitteln. Sie kennen das Ziel.

Aber sie erreichen es nicht.   

Der Absolutheitsanspruch des Christentums

Was ist von anderen Religionen zu halten?


Es ist nicht leicht zu sagen, was aus christlicher Sicht von Hinduismus und Islam, Judentum und Buddhismus, Natur- und Stammesreligionen zu halten ist. Denn man kann da ganz unterschiedlicher Ansicht sein. Bestehen die anderen Religionen nur aus Lüge, Irrtum und Abgötterei, so dass man sie bekämpfen und ihre Anhänger um jeden Preis bekehren muss? Oder lebt in diesen Religionen vielleicht genausoviel Wahrheit wie im Christentum, so dass man sich mit ihnen anfreunden und von ihnen lernen kann? Beide Extrempositionen sind in der Geschichte der Kirche vertreten worden. Die letztere aber erst zu späterer Zeit. Denn viele Jahrhunderte hindurch hat man die anderen Religionen ausschließlich als Irrwege betrachtet. Man sandte Missionare in die Welt, um die Heidenvölker von ihrem Irrglauben zu bekehren, denn schließlich steht im Neuen Testament, dass einzig Christus der Weg ist, die Wahrheit und das Leben. Also, folgerte man, können die Lehren Mohammeds und Buddhas nur Lüge sein. Die Lüge aber muss man bekämpfen, und die Anhänger falscher Religionen muss man in ihrem eigenen Interesse bekehren, weil es für ihre Seelen nur Rettung gibt, wenn sie zu Christus finden. In der Annahme, es sei zu ihrem Besten, hat man viele Heiden zu ihrem Glück gezwungen. Und weil die christliche Missionare überzeugt waren, im Besitz der Wahrheit zu sein, setzten sie das Evangelium manchmal auch mit Feuer und Schwert durch. Auf die Dauer freilich konnte nicht verborgen bleiben, dass man sich mit diesen Methoden vom Willen Jesu entfernt hatte. Und außerdem entdeckte man, dass die Religionen, die man da bekämpfte, keineswegs alle primitiv, grausam und verachtenswert waren. Im Gegenteil: Man staunte darüber, dass sie dem Christentum in manchem ganz ähnlich und in manchem auch ebenbürtig waren. Und so war man sich seiner Sache plötzlich nicht mehr ganz sicher. Im Zuge der Aufklärung erhob sich Kritik an der alten Missionsmentalität, und eine neue, positivere Einschätzung der fremden Religionen setzte sich durch. Wir heute aber stehen am Endpunkt dieser Entwicklung und können beobachten, dass die öffentliche Meinung inzwischen ins andere Extrem gekippt ist. Denn heute gehört es zum guten Ton, allen Religionen wenigstens ein bisschen Wahrheit zuzusprechen. Und eine Überlegenheit des Christentums zu propagieren, ist selbst unter Kirchenleuten verpönt. Man gibt sich lieber tolerant und setzt an die Stelle der Mission den sog. interreligiösen Dialog. Glauben nicht auch die Juden, Muslime, Hindus und Buddhisten irgendwie an denselben Gott? – fragt man. Kann eine Religion beanspruchen „alleinseligmachend“ zu sein? Gibt es nicht viele Wege, die zu demselben Ziel führen? Statt einander zu verdammen und Religionskriege zu führen – so hört man –, sollten die Religionen Toleranz üben und voneinander lernen! Und weil es den Dialog erleichtert, relativiert man die eigene Überzeugung als „eine unter vielen“. Wir haben unsere Wahrheit, aber die anderen haben ihre Wahrheit. Um Wahrheit streiten mag man aber nicht mehr, denn inzwischen scheint es die Hauptsache zu sein, dass man überhaupt noch irgend etwas glaubt. Genug davon. Sie können sich vorstellen, dass ich mit beiden Extrempositionen Probleme habe. Denn die nichtchristlichen Religionen einfach zu verdammen, wie man es früher tat, ist sicher ungerecht. Sie aber mit dem Christentum auf eine Stufe zu stellen, wie es heute Mode ist, scheint mir genauso übertrieben. Um aber zu einer ausgewogenen, biblisch begründete Sicht der nichtchristlichen Religionen zu gelangen, meine ich, muss man vier Einsichten festhalten:


1. Die nichtchristlichen Religionen entspringen nicht einfach menschlicher Willkür und Phantasie, sondern auch sie verdanken sich dem Wirken und Sich-Bezeugen Gottes. Sie sind einem Christen darum nicht völlig fremd. Freilich: Wenn Gott sich ausschließlich in Christus offenbart hätte, und sonst überhaupt nirgends begegnete, könnte man diese These kaum vertreten. Wir müssten die nichtchristlichen Religionen dann für Erfindungen der Menschen oder gar für Erfindungen des Teufels halten – wir könnten kein positives Verhältnis zu ihnen gewinnen. Doch so eng ist der Blickwinkel des Neuen Testamentes nicht. Denn es sagt deutlich, dass „Gottes unsichtbares Wesen ... seit der Schöpfung der Welt aus seinen Werken ersehen wird.“ Und das heißt immerhin, dass auch die fremden Religionen aus einem Keim hervorgehen, den Gott gelegt hat. Allen Menschen dieser Welt hat er die Ahnung ins Herz gegeben, dass ein Gott über ihnen ist. Alle suchen nach dem, was mehr als menschlich ist. Allen bezeugt sich Gott durch sein Schöpfungswerk. Und aufgrund dieses Zeugnisses ist jedes Volk dieser Erde auf irgendeine Weise religiös. In welchem Winkel der Erde sie auch leben mögen – sobald Menschen beginnen nachzudenken, können sie es nicht lassen inmitten des Endlichen nach dem Ewigen zu fragen. Sie spüren, dass ein überlegener Wille ihre Geschicke lenkt. Sie versuchen durch Opfer und Gebete diesen Willen freundlich zu stimmen. Und insofern sind alle Weltreligionen Ausdruck der richtigen Erkenntnis, dass da ein Gott ist. Wenigstens insoweit ist in allen Religionen ein Element der Wahrheit – wie verkehrt sie sonst auch sein mögen. Sie entspringen einem religiösen Grundbedürfnis, das Gott selbst seinen Geschöpfen eingepflanzt hat. Und es ist auch keineswegs so, dass fremde Religionen in ihrem Versuch, Gott zu begreifen, immer nur irrten. Das ist das Zweite, was wir uns bewusst machen sollten:


2. Auch in den nichtchristlichen Religionen findet sich unter vielen Irrtümern manche sehr respektable Wahrheit, die man ohne falschen Neid anerkennen sollte. Gott hat den Religionen der Welt viele Einsichten geschenkt, die wir als Christen mit ihnen teilen. Mit Juden und Muslimen gemeinsam glauben wir, dass es nur einen Gott, den Gott Abrahams gibt. Die Buddhisten wissen auf ihre Weise sehr Zutreffendes zu sagen über das, was wir Sünde nennen. In vielen Religionen gibt es eine ernste Suche und Sehnsucht nach Erlösung. Viele wissen um Gottes Liebe und Barmherzigkeit. Und viele Religionen vertreten ethische Positionen, die den christlichen vergleichbar sind. Da ist also keineswegs nur Lüge und Irrtum, da ist auch viel Wahrheit dabei. Und über diese Wahrheitsmomente bei den anderen dürfen wir uns durchaus freuen. Nur – das ist meine dritte These: Die anderen Religionen deswegen mit dem Christentum auf eine Stufe zu stellen, ginge wiederum zu weit.


3. Wie viel Wahrheit andere Religionen auch enthalten mögen, so fehlt ihnen ohne Christus doch der Zugang zu Gott, den sie haben müssten, um ihren Anhängern das Heil zu vermitteln. Die Religionen gehen zwar alle zurück auf Gottes allgemeine Offenbarung in Natur und Geschichte. Sie verkennen aber und ignorieren Gottes besondere Offenbarung in Jesus Christus. Und weil ihnen Christus fehlt, fehlt ihnen das Entscheidende. Denn er ist der Schlüssel, der den Himmel öffnet. Er allein ist der Zugang zu Gott, nach dem alle Religionen suchen. Und wo sie achtlos an ihm vorübergehen, kommen sie nicht zum Ziel. Denn etwas von Gott zu ahnen, heißt schließlich noch nicht, ihn zu erkennen. Gott zu suchen, heißt noch nicht, ihn zu finden. Gott Opfer darzubringen, heißt noch nicht, mit ihm versöhnt zu sein. Und sich nach Erlösung zu sehnen, heißt noch nicht, dieser Erlösung teilhaftig zu werden. Das alles geht nur in Christus. Denn Christus sagt von sich selbst gerade nicht, dass er ein Weg unter vielen sei. Er beansprucht, dass er allein der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Und wollen wir das nicht leugnen, so geht es nicht an, dass Christen das Christentum anderen Religionen gleichstellen – als eine Möglichkeit unter anderen. Auch wenn das eine sympathisch tolerante Ansicht zu sein scheint, können wir sie nicht übernehmen:


4. Wenn nichtchristliche Religionen nicht zum Heil führen, können sie mit dem Christentum auch nicht auf eine Stufe gestellt werden. Sie haben gewiss dasselbe Ziel – aber sie erreichen es nicht. Und viel mehr als die gute Absicht kann man ihnen als Christ nicht zubilligen. Denn wenn man genauso gut durch Buddha, Mose oder Mohammed selig werden könnte, wäre Jesu Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen ja unnötig gewesen. Ginge es auch anders, so wäre überhaupt nicht einzusehen, warum Gott den schweren Weg des Kreuzes gegangen sein sollte! Wer alle Religionen für gleich „gültig“ hält, hat darum den Boden des Neuen Testamentes verlassen. Wer dagegen am Neuen Testament festhalten will, kann den Fremdreligionen – bei allem Respekt – immer nur ein begrenztes Recht zugestehen. Sie kennen die Aufgabe, aber sie können sie nicht lösen. Sie sind wohl Schritte in die richtige Richtung, die Vollendung des Weges aber ist Christus. Sie sind Ausdruck eines natürlichen Hungers nach Gotteserfahrung, satt werden kann man aber nur durch das Evangelium.


Darum, meine ich, sollten wir in unserem Verhältnis zu den anderen Religionen Paulus folgen, der uns in dieser Sache ein gutes Beispiel gegeben hat. Als der Apostel das Evangelium ins heidnische Athen brachte, fand er dort eine ganze Stadt voller Götterbilder und Altäre. Die verschiedensten Gottheiten wurden in Athen verehrt. Und aus Angst, man könnte einen der vielen Götter vergessen haben, opferte man auf einem besonderen Altar sogar „dem unbekannten Gott“. Paulus aber beginnt seine Verkündigung in Athen nicht damit, dass er die Religiosität der Athener in Bausch und Bogen verdammt. Und er beschränkt sich auch nicht darauf, den Gott Jesu Christi gleichberechtigt neben andere Götter einzureihen. Sondern er knüpft an die vorhandene Religiosität kritisch an und verkündet den Athenern Jesus Christus als den unbekannten Gott, den sie bisher unwissend verehrten. Gott, sagt er ihnen, hat euch eine Sehnsucht ins Herz gegeben, damit ihr ihn suchen sollt, ob ihr ihn vielleicht fühlen und finden könnt. Nun aber ist die Stunde gekommen, da ihr nicht mehr vergeblich suchen und im Nebel stochern müsst mit euren heidnischen Religionen und euren hundert Altären. Nun ist die Stunde da, dass ihr den wahren Gott finden könnt, weil ich ihn euch bezeuge. Denn er heißt nicht Jupiter oder Zeus, Ischtar, Baal oder Astarte – sondern er heißt Jesus Christus! Gebe Gott, dass wir diese Botschaft hören und sie weitersagen an die, die anders glauben. Auf dass wir niemanden wegen seines Glaubens verdammen, alle aber einladen, in Christus zu finden, was sie, ohne es zu wissen, schon immer gesucht haben.