GESETZ UND EVANGELIUM

 

(Das Gesetz ist) „die von Gott gegebene Lehre, welche vorschreibt, wie wir beschaffen sein, was wir tun und unterlassen sollen: und einen vollkommenen Gehorsam gegen Gott verlangt, und verkündigt, dass Gott denen, welche den vollkommenen Gehorsam nicht leisten, zürne, und, sie mit dem ewigen Tode bestrafe.“ (Leonhard Hutter)

 

(Das Evangelium ist) „eine solche Lehre, die da lehret, was der Mensch glauben soll, der das Gesetz nicht gehalten, und durch dasselbige verdammt, nämlich, dass Christus alle Sünde gebüßt und bezahlet, und ihm ohne allen seinen Verdienst erlanget, und erworben habe Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit, die für Gott gilt, und das ewige Leben.“ (Ph. Melanchthon)

 

„In jeder Predigt müssen beide Lehren vorkommen. Wenn eine von beiden fehlt, so ist die andre falsch. Denn das ist eine falsche Predigt, die nicht alles gibt, was zur Seligkeit gehört.“ (C. F. W. Walther)

 

„Worin stehet denn der Unterschied des Gesetzes und des Evangelii? Erstlich: das Gesetz ist etlichermaßen von Natur bekannt, Röm. 2; das Evangelium aber ist ein Geheimnis, aller Vernunft verborgen, welches Gott allein durch sein Wort geoffenbaret hat. Matth. 16. 1 Kor. 2. Eph. 1. Röm. 16. Zum andern: das Gesetz ist ein Amt, das die Sünde offenbaret, beschuldiget und anklaget und von wegen der Sünde alle Menschen zum Tode verdammet. Das Evangelium aber ist ein Amt, das in Christo weiset die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und durch dieselbige das ewige Leben gibt allen, die daran glauben. 2 Kor. 3. Röm. 1. Zum dritten: das Gesetz redet auch von einer Gerechtigkeit und Seligkeit, aber weiset auf uns, dass wir in unserer Natur, Tun und Werken dieselbige Gerechtigkeit vollkömmlich haben sollen, wo wir dadurch leben wollen. Weil uns aber das unmöglich ist, so weiset uns das Evangelium auf Christum, dass er durch seinen Gehorsam, Leiden und Sterben uns erworben habe die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche uns aus Gnaden, ohne unser Verdienst, allein um Christi willen durch den Glauben zugerechnet und geschenket wird. Röm. 10. Gal. 3.“ (Martin Chemnitz)

 

„Der christliche Glaube gründet, genau gesehen, auf dem Geheimnis des Erlösers, der, menschliche und göttliche Natur in sich vereinend, die Menschen der Verderbtheit der Sünde entrissen hat, um sie mit Gott in seiner göttlichen Person zu versöhnen. Also lehrt der christliche Glaube diese zwei Wahrheiten zugleich: es gibt einen Gott, dessen die Menschen fähig sind, und es gibt in der Natur eine Verderbtheit, die seiner unwürdig macht. Gleich wichtig ist für den Menschen, dieses und jenes zu wissen; und es ist gleich gefährlich für den Menschen, von Gott zu wissen, ohne sein Elend zu kennen, wie sein Elend zu wissen, ohne den Erlöser zu kennen, der ihn davon zu heilen vermag. Kennt man nur eins davon, so führt das entweder zu dem Dünkel der Philosophen, die Gott gekannt haben und nicht ihr Elend, oder zur Verzweiflung der Atheisten, die ihr Elend ohne den Erlöser kennen. Da es für den Menschen gleich notwendig ist, von beiden Punkten Kenntnis zu haben, müssen wir, weil wir von beiden wissen, der Barmherzigkeit Gottes danken. Der christliche Glaube tut das, und darin besteht er. Daran prüfe man die Ordnung der Welt und urteile, ob nicht alles dahin zielt, die zwei Hauptsätze dieses Glaubens zu bestätigen: Die sich verirren, irren sich nur, weil sie einen von beiden übersehen. Daraus folgt, dass man Gott wohl kennen kann, ohne von seinem Elend zu wissen, und auch sein Elend, ohne von Gott zu wissen. Aber man kann Jesus nicht kennen, ohne sowohl Gott als sein Elend zu kennen.“ (Blaise Pascal)

 

„Wie das Gesetz zu seinem Inhalte die Verkündigung des göttlichen Willens hat, und dem Beobachter desselben Lohn verheißt, dem Übertreter Strafe droht, so hat das Evangelium, zum Unterschied vom Gesetz, zu seinem Inhalt die Lehre von der gnadenreichen Vergebung der Sünden, welche uns umsonst um Christi willen durch den Glauben zukommen soll. In der Predigt des Ev. ist also dem Menschen das Mittel gezeigt, wie er der Verdammung, welche das Gesetz über ihn verhängt, entgehen kann, und diese Predigt tritt da ein, wo der Mensch durch das Gesetz zur Erkenntnis der Sünde gebracht worden ist, hält ihm dann die Gnade Gottes, das Verdienst Christi und alle damit verbundenen Wohltaten vor und will den Glauben in ihm wirken, durch den er das Heil in Christo sich aneignet. – So verschieden demnach auch Gesetz und Evangelium ihrer Bedeutung nach sind, so ist doch kein Widerspruch zwischen beiden gesetzt, sondern wie beide in gleicher Weise von Gott gegeben sind, so sind auch beide allezeit gültig, haben ihr Geschäft an allen Menschen auszurichten, und wollen ihrem letzten Endzwecke nach auch das Gleiche, nämlich das Heil der Menschen, zu dessen Bewirkung jedes von beiden das Seinige beiträgt. Wie nämlich durch die Predigt des Gesetzes die Erkenntnis der Sünde und die Buße, so wird durch die Predigt des Evangeliums der Glaube gewirkt. Die Wirksamkeit des einen reiht sich also an die des andern an: die Wirksamkeit des einen hört aber darum da noch nicht ganz auf, wo die Wirksamkeit des anderen eintritt, denn auch für den Wiedergeborenen bleibt das Gesetz eine Norm, nach der er sein sittliches Leben einrichtet, und erzeugt in ihm die täglich sich erneuernde Buße, indem es stets sein noch immer sündiges Wesen ihm aufdeckt.“ (Heinrich Schmid)