GOTTESERKENNTNIS

 

„Die natürliche Gotteserkenntnis ist die der Vernunft eingepflanzte und durch Betrachtung der göttlichen Werke entwicklungsfähige Überzeugung, dass Gott sei und dass er alle von ihm geschaffenen Dinge mit Weisheit, Macht und Gerechtigkeit regiere.“ (Adolf Hoenecke)

 

„Die übernatürliche Gotteserkenntnis ist die durch die Offenbarung im Wort vom Geist im Glauben geschenkte seligmachende Erkenntnis Gottes.“ (Adolf Hoenecke)

 

„Es ist nicht zu bezweifeln, dass der menschlichen Seele von Natur ein gewisses Gefühl der Gottheit einwohne. Nämlich, damit sich Niemand mit Unwissenheit entschuldigen könne, hat Gott Allen eine gewisse Erkenntnis seiner Gottheit eingepflanzt, welche er immerdar erfrischet und oft mit neuen Tropfen benetzet: also dass sie, da sie ohne Ausnahme wissen, dass ein Gott, und dass er ihr Schöpfer sei, durch eigenes Zeugnis verdammt werden, wenn sie ihn nicht verehrten, und ihm ihr Leben weihten. Eine völlige Unkunde von Gott, würde man, so man sie suchte, am ehesten unter den verwilderten und von menschlicher Bildung entfernteren Völkern zu finden glauben. Aber, spricht jener Heide, es ist auch keine Nation so roh, kein Volk so verwildert, das nicht die Überzeugung hätte, dass ein Gott sei. Und welche in Hinsicht ihrer sonstigen Lebensweise sich nicht sehr von den Tieren zu unterscheiden scheinen, bewahren doch immer in sich einen Keim von Religion. So sehr hat jene gemeinsame Ahnung Aller Herzen und Seelen unvertilgbar durchdrungen.“ (Johannes Calvin)

 

„Dass ein Gott sei, lehret uns die Natur selbst, indem solche Erkenntnis allen Menschen von Natur in das Herz und Gewissen eingepflanzet ist, nachmal durch die Geschöpfe und deren Ansehung vermehret wird. So wissen wir auch aus denselben etwas von göttlichen Eigenschaften, dass Gott allmächtig, weise, gerecht und gut sei. Aber alle solche Erkenntnis ist noch sehr schwach und unvollkommen, und kann den Menschen zur Seligkeit nicht bringen, sondern allein zu weiterm Suchen anleiten: kommt demnach die wahre Erkenntnis aus göttlicher Offenbarung selbst, durch Christum in dem Wort.“ (Philipp J. Spener)

 

„Wenn nun diese wahre Erkenntnis Gottes vorhergehet, durch welches sich Gott unserer Seele gleichsam zu kosten und zu schmecken gibt (…) so kanns nicht fehlen, es folget wahre Buße darauf, das ist, Änderung und Erneuerung des Gemüts und Besserung des Lebens. Denn wenn einer Gottes Allmacht recht gefühlt und erkannt hat in seinem Herzen, so folget Demut daraus, dass man sich unter die gewaltige Hand Gottes demütiget. Wenn einer Gottes Barmherzigkeit recht gekostet und erkannt hat, so folgt Liebe daraus gegen den Nächsten. Denn es kann niemand unbarmherzig sein, der Gottes Barmherzigkeit recht erkennt. Wer kann seinem Nächsten etwas versagen, dem sich Gott aus Barmherzigkeit selbst mitteilet? Aus Gottes Erbarmung folgt die hohe Geduld gegen den Nächsten, dass, wenn ein rechter Christ des Tages siebenmal ermordet würde, und würde siebenmal wieder lebendig, so vergäbe er es doch seinem Feinde, um der größern Barmherzigkeit Gottes willen. Aus Gottes Gerechtigkeit fließt Erkenntnis der Sünde, dass wir mit dem Propheten sagen: Herr du bist gerecht, wir aber müssen uns schämen, Dan. 9,7. (…) Aus Erkenntnis der Wahrheit fließt Treue gegen den Nächsten, und vertreibt alle Falschheit, Betrug und Lügen, dass ein Christ denket: Siehe, handelst du unrecht mit deinem Nächsten, so beleidigest du die ewige Wahrheit Gottes, die Gott selbst ist. Darum weil Gott treulich und wahrhaftig mit dir handelt, so handle mit deinem Nächsten auch also. Aus der Erkenntnis der ewigen Weisheit Gottes fließt Gottesfurcht. Denn weil du weißt, dass Gott ein Herzenskündiger ist, und in das Verborgene siehet, so fürchtest du dich billig vor den Augen seiner heiligen Majestät.“ (Johann Arndt)

 

„Also ist es auch mit der wahren Erkenntnis Gottes, dieselbe bestehet auch nicht in Worten oder in einer bloßen Wissenschaft, sondern in einem lebendigen, lieblichen, holdseligen, kräftigen Trost, dass man die Süßigkeit, Freudigkeit, Lieblichkeit und Holdseligkeit Gottes im Herzen schmecke durch den Glauben, jetzt ists eine lebendige Erkenntnis Gottes, die im Herzen empfunden wird und lebet. Das ists, was der Ps. 84,3. spricht: Mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott. Und im Ps. 63,4. Deine Güte ist besser, denn leben; da die Freude und Süßigkeit Gottes im gläubigen Herzen beschrieben wird. Und also lebt der Mensch in Gott, und Gott in ihm; er erkennet Gott in der Wahrheit und wird von ihm erkannt.“ (Johann Arndt)

 

„Ich war verirrt, wie das verlorene Schaf, ich suchte dich draußen, da du doch drinnen bist. Ich habe mich viel gemüht im Suchen, bin ohne Rast durch die Dörfer und Straßen dieser Welt gezogen, und fand dich nicht. Zur Kundschaft habe ich ausgesandt alle meine Sinne, aber vergeblich. Denn die Augen sagten: Hat er keine Farbe, so kann er zu uns nicht eingegangen sein. Die Ohren sagten: Hat er keinen Klang, so kann er durch uns nicht gedrungen sein. Die Nase sagte: Hat er keinen Geruch, so ist er in mich nicht gezogen. Der Geschmack sagte: Schmeckt er nach nichts, so hat er mich nicht berührt. Das Gefühl sagte: Ist er nichts Körperliches, so weiß ich von ihm nichts. Ich fragte die Erde, ob sie mein Gott wäre, und sie sprach: Nein! und alles, was auf ihr ist, legte dasselbe Bekenntnis ab. Ich fragte das Meer und die Tiefe und die Tiere, welche darinnen sind, und sie antworteten: Nicht sind wir dein Gott, suche ihn über uns! Ich fragte die stille Luft, und sie antwortete mit allen ihren Bewohnern: Anaximenes ist im Irrtum, ich bin nicht dein Gott! Ich fragte den Himmel, die Sonne, den Mond und die Sterne. Auch wir sind nicht dein Gott! war ihre Antwort. Und ich sprach zu allen Dingen, die von außen mich umgaben: Ihr habt mir gesagt, dass ihr nicht mein Gott seid, so sagt mir etwas über ihn! Und sie riefen alle mit gewaltiger Stimme: Er hat uns gemacht! Und ich kehrte zu mir zurück, ging in mich und sprach zu mir: Wer bist du? Und ich gab mir zur Antwort: Ein vernünftiger und sterblicher Mensch. Und ich fing an näher darüber nachzudenken und sprach: Woher kommt doch dies Wesen, Herr mein Gott! Woher anders als von dir? Du hast mich gemacht und nicht ich selber. Wer bist du, durch den ich lebe? durch den alles lebt? Du, o Herr, bist mein wahrhaftiger Gott und allein allmächtig, ewig, unbegreiflich, unermesslich; der du immerdar lebst und stirbt nichts an dir, denn du bist unsterblich und bewohnst die Unsterblichkeit, ein furchtbarer, starker und lebendiger Gott, ohne Anfang und ohne Ende. Du bist mein Gott und ein Herr aller Dinge, welche du geschaffen hast; aller Stillstand und alle Bewegung hat in dir ihre Ursache, und alles Vernünftige und Vernunftlose findet in dir seinen ewigen Grund. Soll ich nun noch fragen: Wer hat mich gemacht? Du, Herr, hast mich gemacht, ohne den nichts gemacht ist; du bist mein Schöpfer, ich dein Werk.“ 

Soliloquia (Augustini) 

 

„Die ganze sichtbare Welt gleicht einer Leiter, auf der wir zur Erkenntnis unsrer selbst und zur Erkenntnis Gottes hinansteigen sollen. Alles, was da ist, hat entweder bloßes Dasein, oder Dasein und Leben, oder Dasein, Leben und Sinn, oder Dasein, Leben Sinn und Verstand. Der ersten Stufe gehören die Elemente: Erde, Wasser, Luft und Feuer, die verschiedenen Metalle, die Edelsteine mit ihrer Pracht und alle Sterne des Himmels an. Auf der zweiten steht das Pflanzenreich, das wiederum in Kräuter und Bäume von der mannigfaltigsten Art zerfällt. Sie bewegen sich rückwärts und vorwärts, aufwärts und abwärts, ziehen ihre Nahrung selbst aus dem Boden, zeugen Samen und Früchte. Die dritte Stufe nehmen alle Tiere ein, mögen sie auf der Erde, im Wasser oder in der Luft leben, mögen sie gehen, kriechen, fliegen oder schwimmen. Einige davon haben bloß Gefühl, andere Gefühl und Gedächtnis, die meisten Gefühl, Gedächtnis und Gehör. Auf der vierten Stufe steht endlich der Mensch, der alle Vollkommenheiten der niederen Kreaturen in sich vereint und darum in Brüderschaft und Freundschaft mit ihnen steht, überdies aber Verstand und freien Willen besitzt, so dass nichts Größeres in der Welt gefunden wird. Wer hat nun diese merkwürdige Stufenleiter hingestellt? Einer, der über alle Stufen steht, ein höheres und zwar einiges Wesen muss allen Kreaturen ihr Maß und ihre Ordnung angewiesen haben. Derselbe Meister und Künstler hat die Bäume über die Elemente, die Tiere über die Bäume, die Menschen über die Tiere gestellt; derselbe Herr erhält auch alles und macht, dass jegliches Geschöpf in seinem Stand und an seiner Stelle verbleibt. Auch du, o Mensch, hast, was du hast, von ihm empfangen, auch du gehörst nicht dir selber, sondern dem an, deß alle Dinge sind, der sie und dich gemacht hat.“

Raymund (+1436) 

 

„Der Apostel ermahnt uns, dass wir begreifen mögen mit allen Heiligen, welche da sei die Breite, und die Länge, und die Tiefe, und die Höhe. Wir wissen: Gott ist die Länge, um seiner Ewigkeit, die Breite, um seiner Liebe, die Tiefe, um seiner Weisheit, die Höhe, um seiner Majestät willen. Haben wir aber damit etwa Gott schon begriffen? Rede und Sprache begreifen sein Wesen nicht, und doch begreifen es die Heiligen. Wie geschieht das? sprichst du. Bist du heilig, so hast du es begriffen und weisst es; wo nicht, so werde heilig und du wirst es begreifen. Heilig aber wird man durch Gottesfurcht und durch Gottesliebe. Mit diesen zwei Armen greift die Seele, fasst sie, bindet sie, hält sie. Liebe treu und beständig, so hast du die Länge, erstrecke deine Liebe auch auf die Feinde, so hast du die Breite, sei immerdar schüchtern und demütig, so hast du die Höhe und Tiefe begriffen.“ 

Bernhard (+1153)