Dass Gottes Geist in den Gläubigen „wohnt“, ist irritierend, aber notwendig. Denn anders als durch den Heiligen Geist, der uns anschließt an die Quelle des Heils, würde Gott uns nicht erreichen. Wohnte Gott nicht in uns, blieben wir immer fern von ihm. Ist er aber in uns, so tut er stellvertretend für den menschlichen Geist, was dieser nicht vermag, und schafft die Glaubenszuversicht, die wir nie aufbrächten. Genau genommen ist es Gott selbst, der in uns an sich glaubt. Er lässt unseren Geist teilhaben an der Gewissheit, mit der Gott um sich selbst weiß.
Was macht Gottes Geist in meinem Kopf?
Das Neue Testament mutet seinen Lesern viele schwierige Gedanken zu. Einer der merkwürdigsten dürfte aber sein, dass wir als Christen bewohnt werden wie eine Mietswohnung – dass da nämlich in uns drin außer uns selbst noch ein anderer haust: „Ihr seid nicht fleischlich, sondern geistlich“ sagt Paulus, „wenn Gottes Geist in euch wohnt. Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.“ Du meine Güte denkt man – wie soll das gehen? Ist die menschliche Person denn wie ein Vogelhäuschen oder ein Nistkasten, wo der Geist nach Belieben ein– und ausfliegen kann wie die Meisen, die im Frühjahr darin brüten und es dann wieder verlassen? Ist mein Kopf eine freistehende Wohnung, in die der Geist Gottes mal so eben einziehen kann? Und wenn er bei mir einziehen will – wie verhält er sich dann zu meinem eigenen Geist, der doch auch noch da ist? Wird es nicht ein bisschen eng in meinem Kopf, wenn Menschengeist und Gottesgeist eine Wohngemeinschaft bilden? Will ich das überhaupt? Und wenn: Vertragen sich meine Gedanken mit Gottes Gedanken – werden sie nicht streiten? Kann Gottes Geist meinen Menschenverstand erfüllen, ohne mein altes „Ich“ zu verdrängen? Und wenn Gottes Geist sich als dominant erwiese mitten in meiner Psyche, wäre ich dann quasi fremdgesteuert, ferngesteuert, nicht mehr autonom? Es ist kein Wunder, wenn bei solchen Gedanken unsere Alarmglocken schrillen. Denn der moderne Mensch legt größten Wert darauf, selbstbestimmt zu handeln. In der eigenen Person den Geist eines anderen zu beherbergen, oder gar die Kontrolle abzugeben an solch einen Gast, davor graut es uns. Wir sind schließlich keine leerstehenden Altbauten, die von autonomen Gruppen okkupiert und in „besetzte Häuser“ verwandelt werden wollen. Wir sind gern Herr im eigenen Leben. Wenn wir ehrlich sind, suchen wir gar keine Mitbewohner! Und doch scheint Paulus genau so einen Mitbewohnen vorauszusetzen. Er sagt, dass der Geist Gottes in uns wohnt – und dass das auch notwendig ist. Denn nur durch den Heiligen Geist wird menschlicher Geist in den Stand versetzt, glauben zu können. Und nur durch diesen Glauben kann auch Christus in uns sein. Nur mit Hilfe des Geistes kommen in unser armes Mensch–Sein das Heil, die Wahrheit die Gerechtigkeit und das Leben. Anders als durch den Heiligen Geist würde Gottes rettender Arm uns nicht erreichen. Und darum haben wir das Heilswerk nötig, das Gott nicht nur auf Golgatha vollbrachte vor langer Zeit, und auch nicht nur „äußerlich“ an uns tut, sondern tatsächlich in uns tut. So sehr Christus einen Raum der Gnade eröffnet hat, in dem wir Schutz finden können, so sehr bedarf es doch des Heiligen Geistes, der uns einholt in diesen Raum der Gnade, der uns zu Christus führt und uns dauerhaft anschließt an die Quelle des Heils. Wohnte Gott nicht in uns, so blieben wir immer fern von ihm! Wenn wir vor dieser Vorstellung aber zurückschrecken, weil es scheint, Gott träte uns damit zu nahe, wenn wir uns sperren, weil wir in uns gern mit uns allein sein wollen, dann sollten wir uns dringend die Strukturen unseres Bewusstseins vor Augen führen, damit die Sache ihre Schrecken verliert. In Wahrheit ist nämlich keiner von uns in seinem Kopf allein. Ja, ich gestehe ganz freimütig, dass ich immer mindestens zu dritt bin. Das erste ICH handelt, geht, steht, redet und tut. Aber indem ich mir dessen bewusst bin und mich bei meiner aktuellen Beschäftigung beobachte, sind wir schon zwei. Denn hinter dem, der beobachtet wird (ICH 1), steht der, der ihn beobachtet (ICH 2). ICH (2) denke über das nach, was ICH (1) gerade tut. Und fast immer meldet sich noch ICH (3) zu Wort, das irgendwelche Kommentare zu dem hat, was ICH (2) ICH (1) gerade tun sieht. Die Stimme der Vernunft widerspricht gern den Forderungen meiner Bedürfnisse, die Gefühle äußern sich ängstlich, während der Stolz Zuversicht verbreitet, das Gewissen erhebt Einspruch gegen die Vorschläge aus dem Bauch, und das Gedächtnis bringt warnend Erinnerungen ins Spiel. Oft ist in mir ein regelrechtes Stimmengewirr! Einer fällt dem anderen ins Wort. Doch ist es wirklich „ein Anderer“ der da redet? Bin es nicht immer ICH? Ja: Auch wenn der Mensch sich psychisch ganz gesund fühlt, finden in seinem Kopf Streitgespräche statt. Und es ist normal, wenn er „mehrere Seelen“ in seiner Brust fühlt. Denn Vernunft, Gemüt, Gedächtnis, Gewissen, Wille, Stolz, Trieb und Gefühl interagieren heftig. Sie alle sind ICH! Und gerade wenn es um Gott geht oder um Moral, kann es große innere Debatten geben, in denen sich Argumente und Gegenargumente gegenseitig aufheben, ohne dass eine Entscheidung möglich würde. Der Mensch ist mit sich selbst nicht einig. Doch mitten hinein sagt dann eine Stimme „ICH glaube!“, „ICH weiß, was Gott von mir erwartet!“ Und genau das ist es, was Paulus die Einwohnung des Heiligen Geistes nennt. Mitten in den inneren Streit ruft einer „ICH glaube!“ Und die anderen Stimmen in meinem Kopf schweigen verblüfft. „Warst du das?“ fragt dann das Gefühl die Vernunft. „Nein“, antwortet die Vernunft, „das muss der Willen gewesen sein“. Doch der Wille sagt „Ich war’s auch nicht“ und fragt das Gewissen: „Kannst du plötzlich glauben?“ Jeder verneint. Alle Bestandteile des Bewusstseins werden verhört. Aber keiner will es gewesen sein. Denn die Instanzen unseres inneren Lebens sind tatsächlich weder einzeln noch gemeinsam in der Lage, glauben zu können. Die Stimme aber, die sagt „ICH glaube!“, kehrt im inneren Gespräch immer wieder. Und manchmal ist sie sogar lauter als alle anderen. Der Mensch meint vielleicht, gute Gründe zu haben, weshalb er ihr nicht vertrauen kann, vertrauen will oder darf. Und doch vermag er auf die Dauer nicht zu leugnen, dass da „Etwas“ in ihm glaubt. Er macht die irritierende Erfahrung einer Instanz, die ICH bin, und die doch zugleich mehr ist als ICH. Diese Erfahrung ist schwer einzuordnen, weil man sie nicht hat kommen sehen. Doch das Neue Testament bietet eine Erklärung an. Denn was sich da im inneren Stimmengewirr als fröhliche Gewissheit bemerkbar macht, ist in Wahrheit nicht des Menschen eigener Geist, sondern es ist Gottes Geist, der stellvertretend für den menschlichen Geist tut, was dieser nicht vermag. Gott selbst ersetzt die Zuversicht, die der Mensch aus sich heraus niemals aufbringen könnte. Gott gibt die Beständigkeit und Klarheit, über die menschlicher Geist nicht verfügt. Und weil er weiß, wie schwer der Mensch von Begriff ist – und wie träge –, vertritt der Heilige Geist ihn selbst noch im Gebet mit unaussprechlichen Seufzern. Wenn der Christ nicht zu reden weiß, wird ihm zugesagt, dass der Heilige Geist durch ihn reden wird. Und wo er vergisst und verzagt, da übernimmt es der Heilige Geist ihn zu erinnern und zu trösten. Bei alledem „wohnt“ der Heilige Geist im Menschen und wirkt auf den menschlichen Geist ein, ohne ihm dabei Gewalt anzutun. Er wird keineswegs identisch mit ihm. Und er setzt die normalen psychischen Funktionen auch nicht außer Kraft. Aber der Heilige Geist gibt dem menschlichen Geist Zeugnis davon, dass dieser Mensch Gottes Kind ist. Er klärt ihn über alles auf, was ihm von Gott geschenkt wird. Und aus diesem inneren Bezeugen des Heiligen Geistes erwachsen Glaubensgewissheit, christliches Leben und mancherlei Gaben wie Glaube, Liebe, Hoffnung, Treue, Barmherzigkeit, Wahrhaftigkeit und Demut. Streng genommen glaube gar nicht „ich“, sondern „es“ glaubt in mir, denn „ich“ als Mensch und Sünder bin gar nicht in der Lage dazu. Der Heilige Geist tut, was getan werden muss, um den Menschen in eine vertrauensvolle Beziehung zu Gott zu bringen. Und genau genommen ist es dabei Gott selbst, der in mir an sich glaubt. Gott macht den Glaubenden zu seiner Wohnstatt und zu seinem Tempel. Und anders ginge es nicht. Anders käme kein Licht in unsere Schädel. Denn des Menschen Geist ist zwar clever in allen Dingen, die die Welt betreffen, in allem aber, was Gott betrifft, ist er spröde, dumm und kraftlos. Menschlicher Geist kommt sich zwar klug vor, würde aber von sich aus in Glaubensdingen nie Gewissheit erlangen. Und weil Gott dass weiß, nimmt er in uns Wohnung und lässt unseren Geist dadurch teilhaben an der Gewissheit, mit der Gott um sich selbst weiß. Was der Mensch durch noch so viel Forschen, Prüfen und Kontrollieren niemals sicherstellen kann, wird ihm gewiss, wenn der Heilige Geist seinem Geist Einblick gewährt in das Wissen Gottes um sich selbst. Und obwohl dies immer eine „fremde“ Gewissheit bleibt, an der der Mensch nur partizipiert, und eine fremde Weisheit, von der er profitiert, reicht sie doch völlig aus, um ihm Frieden zu schenken. Durch die Einwohnung göttlichen Geistes kann der Mensch akzeptieren, nicht klug zu sein „aus sich selbst“ und „für sich selbst“, sondern nur klug zu sein „in Gott“ und „durch Gott“. Und zu einer Konkurrenz oder einer Überfremdung kommt es dabei keineswegs. Denn der Gläubige besteht nicht mehr darauf, die Kontrolle über sein Leben zu haben. Er ist damit einverstanden, dass Gott sie hat. Er gründet seinen Glauben von Anfang an nicht auf seine eigene Prüfung, sondern auf Gottes Zusage. Und er ist gerade deshalb ohne Sorge, weil ein „anderer“ für die Wahrheit seines Glaubens bürgt, ihn ihm Gebet vertritt und in Entscheidungen führt. Es klingt paradox. Aber es ist tatsächlich Gott selbst, der in uns an sich glaubt. Denn wenn Gott uns einholen will in den Schutzraum der Gnade und uns anschließen will an die Quelle des Heils, dann ist Gottes Heiliger Geist dabei sowohl der Geber als auch die Gabe und der Empfangende. Er steht auf Seiten Gottes, weil der Heilige Geist ja kein anderer ist als Gott selbst. Er ist das Medium und das Mittel der Erlösung, weil uns alle Gnade geschenkt wird durch den Heiligen Geist. Der Heilige Geist ist die Gnadengabe selbst, weil er uns geschenkt und verliehen wird als Unterpfand des Heils. Und er ist auch noch der Empfänger, der auf Seiten des Menschen die Gabe entgegennimmt, denn es ist der geistgewirkte Glaube, der das Heil ergreift, empfängt und festhält. Das ist verwirrend genug! Wo aber bleibt die menschliche Autonomie? Die mag bleiben, wo sie will. Sie wird an diesem Punkt nicht gebraucht und wäre in Glaubensdingen auch nur schädlich. Denn des Menschen Versuch, Gott gegenüber autonom zu sein, ist ja die Quelle allen Unheils und der harte Kern der Sünde. Selbstbestimmung in Alternative zu setzen zur Bestimmung durch Gott – eben das ist der Ursprung allen Elends. Das ist es, was uns von Gott und von unserer eigenen Bestimmung entfremdet! Und darum ist es gut, dass es diese Alternative im Glauben nicht gibt. Hier ist die Bestimmung durch Gott identisch mit der rechten Selbst-bestimmung, weil erst Gottes Geist in mir mich zu dem Menschen macht, der ich sein soll. Erst durch ihn kommt der Mensch wieder ins Lot. Nur durch ihn wird der verkehrte Mensch geheilt und vom Kopf auf die Füße gestellt. Darum ist es wahrlich gut und zu begrüßen, dass wir als Christen nicht mit uns allein sind, sondern Gottes Geist in unserem Geist beherbergen. Ihn bei sich zu haben, ist ein großer Trost und birgt große Verheißungen, an die uns Paulus erinnern will: „Wenn der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt...“