Essen ist ein erstaunlicher Vorgang, durch den ein Körper in einem anderen untergeht, in ihm verschwindet, sich in ihm auflöst, ihn stärkt – und zuletzt nicht mehr von ihm unterschieden werden kann. Und genau darum will uns Jesus im Abendmahl Gastgeber und Speise zugleich sein, um in uns einzugehen und aufzugehen. Er will sich mit uns bis zur Ununterscheidbarkeit vereinen, denn während wir uns den Leib Christi in Form des Brotes einverleiben in unseren Leib, werden wir von Christus einverleibt in seinen Leib – die Kirche.
Warum will Christus von uns gegessen werden?
Ich möchte sie einladen, mit mir übers Essen nachzudenken. Denn der Vorgang des Essens, so alltäglich und selbstverständlich er auch sein mag, ist doch genau genommen ein erstaunlicher Vorgang, durch den ein Körper in einem anderen Körper untergeht, in ihm verschwindet, sich in ihm auflöst, ihn stärkt und kräftigt – und zuletzt von diesem Körper nicht mehr unterschieden werden kann, weil sie eins geworden sind. Der Leib, den ein Mensch „hat“, und mit dem er weitgehend identisch „ist“, dieser Leib ist so eingerichtet, dass er sich Nahrung einverleiben kann und muss. Der Mensch hat dazu einen Mund mit Zähnen, hat eine Speiseröhre und einen Magen, und er lebt davon, dass er sich damit fremde Leiber einverleibt, sie dabei vernichtet und ausbeutet, sich ihre Nährstoffe aneignet, sie über die Blutbahn in sich selbst verteilt, sie verwendet und verbraucht – und nur das ganz Unbrauchbare ausscheidet. Das aber, was dem Vorgang des Essens zum Opfer fiel, sei es Brot oder Salat, Fleisch oder Obst – wo ist das hinterher geblieben? Ist es eins geworden mit dem Esser? Steckt es hinterher in seinen Fingernägeln, in seinen Knochen, in seinem Blut und überall in seinen Körperzellen? Wurde es umgewandelt in Energie und Bewegung oder – wenn doch auch das Gehirn ernährt wird! – wurden dann die Nährstoffe z.B. eines Apfels umgewandelt in Gedanken? Ist der gegessene Apfel hinterher ein Teil von mir geworden – oder umgekehrt: Bin ich vielleicht nur die Summe der Dinge, die ich im Laufe meines Lebens gegessen habe? Der Mensch ist, was er isst – sagen die Materialisten. Und wenn das auch nicht die ganze Wahrheit sein dürfte, so ist doch etwas Richtiges daran. Denn Essen ist wirklich ein ziemlich intimer Vorgang, bei dem ich fremde Stoffe und Körper nicht nur an mich heranlasse, sondern sie in mich hineinlasse. Ein Teil der Welt da draußen ist nach der Mahlzeit plötzlich in mir drin. Und die damit vollzogene Grenzüberschreitung, dieses Hereinlassen, dieses Besitzergreifen und In–mich–aufnehmen kann entweder sehr lustvoll sein – oder auch hochgradig eklig. Wenn das Essen nämlich schmeckt und appetitlich ist, wenn’s frisch und fein zubereitet wurde, dann ist es lecker und ist ein schwer zu übertreffender Genuss, den die Gourmets entsprechend zelebrieren. Da ist Essen dann viel mehr als bloß Nahrungsaufnahme, es ist kulturell gesteigertes Lebensgefühl und sinnliche Selbsterfahrung. Sich etwas Delikates einzuverleiben kann herrlich sein! Und zugleich gibt es nichts Schlimmeres, als etwas essen zu müssen oder es mit Gewalt hineingezwungen zu bekommen, das uns anwidert, weil es schimmlig, ranzig und verdorben ist, weil es stinkt, uns würgen macht und ekelt. Denken sie nur an kleine Kinder, denen man bittere Medizin hineinzwingt, oder an die Kriegsgefangene, die verschimmeltes Brot essen mussten. Denken sie an den Apfel, in den man herzhaft hineingebissen hat, ohne rechtzeitig den Wurm zu sehen! Schrecklich ist das, unbedacht etwas Verdorbenes geschluckt zu haben, denn wenn dieser Stoff die Grenze zu meinem Inneren erst einmal überschritten hat, kann man sich nur noch übergeben – und wird das Gefühl des Ekels auch dann noch lange nicht los. Essen ist also ein prekärer Akt der Vereinigung, der für den Essenden zugleich lebensnotwenig, lustvoll und gefährlich ist. Was aber bedeutet dieser Vorgang für den, der gegessen wird – für das Schwein, das Rind, das Huhn, das wir uns einverleiben? Natürlich fällt es uns schwer, uns da hineinzuversetzen. Und wir wollen es auch gar nicht. Es ist keine angenehme Perspektive. Und doch hat es seinen Grund, dass wir die Tiere, die wir essen wollen, vorher umbringen müssen, denn für sie ist das Gegessenwerden auf jeden Fall der Untergang, gegen den sie sich wehren würden, wenn sie könnten. Sie werden schließlich geopfert und verbraucht, um andere Lebewesen zu ernähren. Sie werden im Schlund dieser Wesen begraben, werden zerlegt, zerkaut, vernichtet und verdaut – nur um den Essenden eine Zeit lang zu kräftigen und zu versorgen. Der Essende sieht diese Tiere bloß als Mittel an, die dem Zweck seiner Ernährung dienen, und nimmt dabei sein eigenes Leben wichtiger als ihren Tod. Das Lebewesen aber, das gegessen wird, kann diese Verzweckung nur passiv erleiden – und könnte schwerlich sein Einverständnis dazu geben, in dieser Weise verbraucht zu werden. Denn dazu müsste es den Zweck seines eigenen Daseins in der Ernährung des Essenden sehen, in dem es aufgeht und untergeht. Und das wird niemand freiwillig tun. Wenn uns ein Löwe, ein Hai oder ein Krokodil fressen wollte, würden wir es schließlich auch zu verhindern suchen, weil auch wir den Sinn unseres Daseins nicht darin sehen, einer anderen Kreatur als Nahrung zu dienen. Gegessen werden heißt ja, mit dem eigenen Leben abzuschließen, um das Leben des Essenden zu verlängern. Es heißt, die Kraft, die meinem Leib innewohnt, einem anderen zu überlassen. Es heißt seine Interessen meinen Interessen überzuordnen – und wer will das schon? Die Rinder und die Schweine, die Fische und die Vögel – die wollen’s jedenfalls nicht. Genau wie wir wollen sie alle nur essen, und keiner will gegessen werden – bis auf den einen, der aus der Reihe fällt und das Verrückte tut, das uns nie einfiele, indem er sich anderen als Nahrung anbietet. Und wer ist dieser Verrückte? Es ist Gottes Sohn. Denn Jesus sprach: „Ich bin das Brot des Lebens... Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt damit, wer davon isst, nicht sterbe. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt. Da stritten die Juden untereinander und sagten: Wie kann der uns sein Fleisch zu essen geben? Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat, und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen.“ Es schaudert uns bei diesen drastischen Worten. Und wir verstehen nur zu gut das Entsetzen der Juden, die Jesus kannibalisch missverstehen. Wie kann uns denn Jesus sich selbst zu essen geben? Er meint das doch hoffentlich nicht wörtlich, sondern irgendwie symbolisch! Jesus aber, der sicher gewusst hat, dass seine Worte Abwehr und Unwillen provozieren würden, hat sie trotzdem nicht gemildert und hat trotzdem das Abendmahl in der bekannten Weise eingesetzt. Er hat es offenbar für nötig gehalten, seine Hörer schwer zu irritieren, und hat sich selbst mit einer Speise gleichgesetzt, um uns die Augen zu öffnen. Denn Jesu Verhältnis zu uns entspricht gleich in mehrfacher Weise dem Verhältnis eines Nahrungsmittels zu dem, der es isst: Der Vorgang des Essens schließt z.B. ein, dass das, was einer zu sich nimmt, der Vernichtung preisgegeben wird. Die Speise geht ja sozusagen im Essenden unter und geht dabei verloren, wird von seinen Zähnen zermahlen und von seiner Magensäure zersetzt. Jesus aber, wenn er sich „das Brot des Lebens“ nennt, gibt damit zu verstehen, dass er sich selbst preisgibt und sein Leben hingibt. Er opfert sich für die Seinen und gibt sein Leben für uns am Kreuz. Zugleich aber macht das Bild vom „Brot des Lebens“ deutlich, dass Jesu Opfer zum Ziel hat, seine Jünger zu stärken, zu nähren und zu kräftigen. Auch das gewöhnliche Brot wird nicht verbraucht, damit es wegkommt, sondern damit die darin enthaltene Energie den Essenden zu gute kommt. Die Kraft, die im Brot steckt, soll sozusagen wandern – sie soll vom Brot auf den Essenden transferiert werden. Und genauso sah Jesus das Ziel seines Lebens im Dienst für die Seinen, die ihn essen sollen, um Anteil zu gewinnen an der Kraft, die in ihm wohnt. Damit das aber möglich wird, muss Jesus in den Menschen eingehen und muss so in ihm aufgehen, wie die Nahrung eingeht in den Leib und aufgeht im Leib. Was einer isst, das wird zerlegt und über die Blutbahnen im ganzen Körper so verteilt, dass der Essende und das Gegessene am Ende nicht mehr unterschieden werden können. Und ebenso will Jesus von uns aufgenommen werden und will jede Faser unseres Körpers und jeden Aspekt unsere Lebens so durchdringen, dass er und wir nicht mehr gegenüber und nebeneinander, sondern untrennbar ineinander und miteinander sind. Zu unserem eigenen Besten sollen wir mit Jesus eins werden und sollen seinen Geist und seine Kraft in uns übergehen lassen, wie wir die Nährstoffe einer Mahlzeit in unseren Leib übergehen lassen. Dass das aber nur möglich ist, wenn wir uns dafür öffnen, daran lässt auch Jesus keinen Zweifel. Denn mit dem „Brot des Lebens“ ist es genauso, wie mit jedem anderen Brot. Ich werd’s nicht essen können, solange ich von seiner Qualität nicht überzeugt bin. Misstraue ich einem Nahrungsmittel, weil ich nicht weiß, ob’s gut oder giftig ist, so sträubt sich mein ganzer Leib dagegen. Und ebenso wird sich ein Mensch dagegen wehren, im Abendmahl Jesus Christus aufzunehmen, solange ihm der rechte Glaube fehlt. Da erschrickt jeder und zögert, bevor er den Mund aufmacht. Denn diese Einladung ist in der Tat mehr als seltsam: Jesus gibt sich selbst für uns her und erklärt sich bereit, als Gastgeber und Speise zugleich in uns einzugehen und in uns aufzugehen. Er will, dass wir mit ihm und er mit uns vereint werden bis zur Ununterscheidbarkeit – und will uns dabei Anteil geben an all der Kraft und Herrlichkeit, die in ihm steckt, verlangt aber dafür die Bereitschaft, ihn als das „Brot des Lebens“ in uns aufzunehmen. Denn wie beim Essen soll ein Ding der Außenwelt die Grenze zu unserer Innenwelt überschreiten. Und das geht nicht widerwillig und misstrauisch, sondern es funktioniert nur, wenn ich es vertrauensvoll zulasse. Schließlich handelt es sich nicht um Kleinigkeiten, sondern um etwas Großes und Geheimnisvolles. Gott selbst wartet darauf, dass wir ihn in der Form einer Speise in uns aufnehmen, und verspricht im selben Moment, uns in sich aufzunehmen. Wir greifen und werden dabei gegriffen, wir öffnen uns und erfahren Gottes Offenheit, wir nehmen und werden genommen. Die Grenze zwischen Innen und Außen, zwischen Gott und Mensch, zwischen oben und unten, zwischen Zeit und Ewigkeit wird dabei durchlässig. Und der Gipfel der Merkwürdigkeit liegt darin, dass alles wechselseitig geschieht. Denn während wir uns den Leib Christi in Form des Brotes einverleiben in unseren Leib, werden wir von Christus einverleibt in seinen Leib – nämlich in die Kirche, die der Leib Christi ist. Während wir ihn zu einem Teil von uns machen, macht er uns zu einem Teil von sich. Und wenn man es auf die Spitze treiben will, kann man mit Johannes Tauler sagen: Indem wir essen, werden wir gegessen. Doch erwartet niemand, dass wir uns das vorstellen können. Denn es ist zuletzt doch ein großes Geheimnis, was da im Abendmahl geschieht. Kein Mensch kann es sich so recht vorstellen und keiner kann’s ergründen. Es ist mehr als unser Verstand fassen und mit dürren Worten zu erklären vermag. Aber feiern kann man das Abendmahl natürlich trotzdem – wenn man nur begreift, dass Gott hier die Grenze zwischen sich und uns durchlässig machen will. Es ist wahrlich nötig, heilsam und tröstlich, dass er’s tut!