Es könnte scheinen, Himmelfahrt sei ein Trauertag für die Jünger, weil Jesus von ihnen Abschied nimmt und sich entfernt. In Wahrheit aber ist Christus, nachdem er zum Himmel aufgefahren ist, seinen Jüngern näher als zuvor. Denn früher war er immer nur hier oder dort. Seit er „zur Rechten Gottes“ sitzt hat er Teil an Gottes Allgegenwart und übt die Herrschaft aus, die ihm der Vater übertragen hat. Ein schrecklicher Gedanke ist das für seine Feinde, Freude und Trost aber für alle Gläubigen.  

Himmelfahrt und Herrschaft Christi

Hat sich Christus aus der Welt zurückgezogen?


An Himmelfahrt feiern wir traditionell fröhliche Gottesdienste. Aber man wird schon mal fragen dürfen, ob das eigentlich richtig ist. Scheint Himmelfahrt für die Jünger Jesu nicht ein trauriger Tag zu sein, ein Tag des Abschieds? Die Jünger hätten Jesus doch gewiss gern weiterhin bei sich gehabt. Er konnte sie führen, er konnte sie trösten, er konnte ihre Fragen beantworten. Um bei ihm zu sein, hatten sie ihre Familien und ihre Berufe hinter sich gelassen. Sie waren ihm nachgefolgt, weil seine Nähe ihnen mehr bedeutete als alles andere. Aber gerade mit dieser Nähe ist an Himmelfahrt endgültig Schluss. Wir lesen es ja in der Schrift: Vierzig Tage war der Auferstandene bei seinen Jüngern, doch dann wird er von der Erde aufgehoben, eine Wolke hüllt ihn ein, er wird vor ihren Augen weggenommen und fährt gen Himmel. Er verschwindet in der Ferne. Dorthin kann ihm keiner folgen. Das ist Abschied, das ist Trennung, das ist ein Verlust für die Jünger. Ich denke, sie standen einigermaßen ratlos da und starrten in den Himmel, wie eine Herde, der man den Hirten weggenommen hatte. Sollten sie sich darüber freuen? Über Himmelfahrt können anscheinend nur die jubeln, die Jesus von Anfang an loswerden wollten. Die Herren dieser Welt, König Herodes, Hannas und Kaiphas, Pilatus, die Pharisäer und Schriftgelehrten – die hatte Jesus ja gestört. Die hatte er durch seine Verkündigung nervös gemacht und geärgert. Sie hatten ihn gekreuzigt, um ihn aus der Welt zu schaffen. Und Himmelfahrt scheint zu zeigen, dass es ihnen am Ende gelungen ist. Der Störenfried räumt das Feld und zieht sich in den fernen Himmel zurück. Da mag er bleiben, haben sie vielleicht gedacht, da gehört er hin. Nun haben die Mächtigen auf Erden wieder allein das Sagen. Ist es so? Wenn das so wäre, müssten Christi Jünger an Himmelfahrt trauern und Christi Feinde müssten Feste feiern. So ist es aber nicht. Der Epheserbrief sagt jedenfalls etwas ganz anderes. Und er deutet das Himmelfahrtsgeschehen auch anders. Denn da steht, Gott habe Christus „...von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er unter seine Füße getan....“ (Eph 1,20-22) Eines muss gleich klargestellt werden: Wenn der Epheserbrief sagt, dass Christus eingesetzt wird „zur Rechten Gottes“, dann soll das keine Angabe über seinen Aufenthaltsort sein. Denn Gott ist nicht lokalisierbar. Er ist allgegenwärtig. Und darum wäre es Unsinn zu sagen: Dort ist Gott und rechts davon ist Christus. So kann man nicht von Gott reden. Und so meint es der Epheserbrief auch nicht. Denn wenn in der Bibel von der Rechten Gottes die Rede ist, dann ist damit die allmächtige Kraft und Gewalt gemeint, mit der Gott alles im Himmel und auf Erden regiert. Die Rechte Gottes ist sozusagen sein rechter Arm, seine rechte Hand, mit der er alles wirkt und ausführt, was er sich vornimmt. Wir finden das häufig in den Psalmen, dass gesagt wird: Die Rechte Gottes hat die Erde gegründet und den Himmel ausgespannt, die Rechte Gottes herrscht über Meere und Ströme, die Rechte Gottes tut Wunder und hilft mit Macht, die Rechte Gottes schlägt Gottes Feinde, die Rechte Gottes rettet aus der Not. Wo die Bibel so redet, ist mit der Rechten Gottes kein bestimmter Ort bezeichnet, sondern Gottes allmächtige Wirksamkeit, sein Arm, der überall hinreicht und dem nichts widersteht. In diesem Sinne müssen wir es auch verstehen, wenn es heißt, Christus sei erhöht zur Rechten Gottes. Denn das bedeutet nicht, Christus habe sich in den Himmel zurückgezogen, um dort untätig zu sein und die Welt sich selbst zu überlassen, sondern im Gegenteil: Er tritt die Herrschaft an, die Gott ihm übertragen hat. Gottes allmächtiges Weltregiment liegt nun in seiner, in Christi Hand, denn Gott hat den Gekreuzigten zum König der Welt eingesetzt, er hat ihm die Herrschaft über alles gegeben, hat ihn erhöht „über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat“ – alles hat er unter seine Füße getan. Alles ist unter ihm, niemand ist über ihm. Wenn das aber stimmt, dann ist Himmelfahrt nicht Christi Rückzug aus der Welt, sondern der Antritt seiner Herrschaft in der Welt. Und dann müssen wir umdenken. Denn nur auf den ersten Blick schien Himmelfahrt ein trauriger Tag für die Christen zu sein, ein Abschied von Christus. Da lag es nahe, ihn zurückzuwünschen, weil vieles einfacher scheint mit einem „Jesus zum Anfassen“. Aber wenn wir verstehen, was Himmelfahrt bedeutet, können wir so nicht mehr denken. Denn wenn Christus zur Rechten Gottes sitzt, ist er uns näher als wenn er noch heute durch Palästina wanderte. Vorher war er nur hier oder da, in Jerusalem oder in Nazareth. Heute aber ist er bei allen Christen dieser Welt zugleich, denn die Rechte Gottes ist überall. Es klingt paradox – aber gerade weil Christus in den vermeintlich fernen Himmel fuhr, kann er jedem von uns nah sein – und zwar näher als der, der neben uns sitzt oder steht. Das Umdenken betrifft übrigens auch die Feinde Christi. Anfangs schien es, als sei Himmelfahrt für sie ein Freudentag. Es schien, als räumte Christus das Feld und überließe es wieder den Mächtigen, die Welt zu regieren. Aber das war ein Irrtum. Denn der Versuch, Christus durch die Gewalttat der Kreuzigung aus der Welt zu schaffen, ist gründlich gescheitert. Die Feinde Christi sind ihn nicht losgeworden. Ganz im Gegenteil: Früher, als er noch durch Palästina wanderte, war er immer nur an einem Ort. Jetzt aber ist er allgegenwärtig, in jedem Baum, in jedem Stein und in jedem Sonnenstrahl – einfach weil Gottes Rechte allgegenwärtig ist. Welch schrecklicher Gedanke für die, die Christus hassen und nun auf der ganzen Erde keinen Winkel mehr finden, wo sie sich vor ihm verstecken könnten! Wie herrlich aber für die, die zu ihm gehören!