Der Tod hat mehr als ein Gesicht: Er ist für alle Geschöpfe die natürliche, vom Schöpfer gesetzte Grenze ihres Daseins. Für Sünder ist er zugleich ein Gerichtsakt, durch den Gott das ihn Verneinende verneint und das Nicht-sein-sollende ins Nicht-sein befördert. Für begnadigte Sünder aber ist er außerdem auch noch das Tor in den Himmel, die Durchgangsstation in die ungetrübte Gemeinschaft mit Gott. Christen müssen den Tod darum nicht fürchten:

Für sie ist das Sterben nicht Vernichtung, sondern Vollendung. 

Tod und Vergänglichkeit

Was hat es auf sich mit dem Tod?

 

Wenn jemand stirbt, trauern wir um ihn. Aber es ist nicht zu vermeiden, dass wir uns dabei auch unserer eigenen Vergänglichkeit bewusst werden. Denn wir werden ja denen, die wir betrauern, eines Tages nachfolgen. Und dass wir heute schon davon wissen – das wirft Fragen auf. Denn was ist das eigentlich für ein Widerfahrnis, das uns allen bevorsteht, und über das doch keiner gerne redet? Ist der Tod etwas Natürliches, wie manche sagen? Etwas, das wir annehmen sollten, weil es nun mal zum Leben gehört? Ist der Tod ein überlegener Feind, den wir fürchten müssen, weil er uns am Ende alles nimmt, was wir sind und haben? Oder können wir dem Tod vielleicht begrüßen wie einen Freund, der uns Ruhe und Frieden schenkt, wenn uns unsere Füße nicht mehr tragen wollen? Der eine sagt so, der andere so. Und man kann daraus zunächst nur folgern, dass Erfahrungen des Todes vielgestaltig sind. Als Christ nimmt man dann vielleicht die Bibel zur Hand, um Klarheit zu gewinnen. Aber wer da eine schnelle und einfache Antwort erwartet, wird enttäuscht. Denn auch das biblische Zeugnis über den Tod ist vielgestaltig. Ja, die Bibel bestätigt, dass der Tod nicht nur ein Gesicht hat, sondern mindestens drei:

 

(1.) Das erste Gesicht des Todes ist gewissermaßen neutral. Denn an vielen Stellen scheint die Bibel einfach sagen zu wollen, dass der Tod etwas Natürliches ist, etwas, das zu unserer Geschöpflichkeit dazugehört, etwas, wodurch wir in den großen Zyklus des Werdens und Vergehens eingebunden sind wie das liebe Vieh und die Pflanzen auch. Der Mensch ist „...wie ein Gras, ... das am Morgen blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt.“ So liest man es im 90. Psalm. Und man könnte mit einem Schulterzucken sagen: So hat es Gott nun einmal geordnet. Alles hat seine Zeit, das Leben hat seine Zeit – und das Sterben eben auch. Allen Kreaturen hat der Schöpfer gewisse Grenzen gesetzt. Und eine solche Grenze ist eben auch der Tod. Dass es ihn gibt, wird niemanden freuen. Gegen ihn zu rebellieren besteht aber kein Anlass. Denn jeder sieht ein, dass immer eine alte Generation abtreten muss, damit eine neue Generation wirken und sich entfalten kann. Ja: Wir sehen ein, dass diese Welt nicht so voller Leben und Vielfalt sein könnte, wenn nicht das Alte immer wieder dem Neuen Platz machte. Schließlich muss im Herbst auch das Laub von den Bäumen, damit im Frühling neue Blätter sprießen können. Und insofern müssen wir gestehen, dass es auch mit unserem Sterben seine Ordnung hat. Natürlich ist diese Ordnung nicht leicht zu bejahen, weil sie mich am Ende mein Leben kostet. Aber wenn der Tod wirklich erst am Ende kommt, nach 70, 80 oder 90 Jahren erfüllten Lebens, dann können wir ihn normalerweise ganz gut hinnehmen. Wir protestieren ja auch nicht dagegen, dass auf den Sommer ein Herbst und ein Winter folgt. Ist das also die rechte christliche Einstellung zum Tod, dass wir uns einfach mit ihm abfinden? Man könnte es meinen.

 

(2.) Blättern wir aber in der Bibel weiter, so finden wir, dass sie an anderer Stelle wieder ganz anders vom Tod spricht – und uns ein anderes, viel bedrohlicheres Gesicht des Todes zeigt. Paulus z.B. lehrt uns, der Tod des Menschen sei keineswegs eine einfache Naturgegebenheit, sondern er sei „der Sünde Sold“ – also eine Strafe und ein Gerichtsakt Gottes, ein Verhängnis, das nur deshalb über den Menschen gekommen ist, weil er sich von Gott abgewandt hat. Paulus schreibt im Römerbrief: „...wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben.“ Demnach wäre es eine Verharmlosung und eine Oberflächlichkeit, wenn wir den Tod nur als eine Naturgegebenheit ansehen und ihn darum gelassen hinnehmen wollten. Nein, er hat daneben noch ein zweites, ein hässliches Gesicht. Denn der Tod zerschlägt uns, er zerbricht uns, er gibt uns dem Vergessen anheim. Und was das Schlimmste daran ist – er ist im Recht. Denn das ist es, was das Neue Testament meint, wenn es sagt, der Tod sei „der Sünde Sold“. Zerschlagen zu werden vom Tod, das ist der Lohn, den wir dafür erhalten, dass wir uns von Gott weg dem Bösen zugewandt haben. Oder anders gesagt: Wenn das Leben des Sünders Widerspruch gegen Gott ist, dann ist unser Tod Gottes Widerspruch gegen die Sünde. Es ist sein Widerstand gegen das Böse, dass er durch unser von Bösem gekennzeichnetes Leben einen dicken Strich zieht und durch den Tod das, was nicht sein soll, ins Nicht-Sein befördert. Das mag uns hart erscheinen. Aber Gott hat Recht damit. Denn warum sollte er ein Geschöpf ewig leben lassen, wenn dieses ewige Leben nur eine unendliche Verlängerung seiner Gottlosigkeit wäre? Darum ist es recht, dass der Geist, der sich gegen Gott auflehnt, vergehen muss. Es ist recht, dass der Widerstand gegen Gott gebrochen wird. Es ist recht, dass der, der sich von Gottes Licht abwendet, dem Dunkel des Todes anheimfällt. Sofern wir Sünder sind, ist unser Tod also kein harmloses Natur-geschehen, sondern ist immer zugleich der Vollzug des Gerichts über uns. Ist es demnach die rechte Einstellung eines Christen zum Tod, dass man ihn fürchtet? So mag es scheinen.

 

(3.) Wenn wir uns aber gerade an diesen Gedanken gewöhnt haben, stoßen wir plötzlich auf biblische Worte, die den Tod als etwas Schönes und geradezu Erstrebenswertes darstellen. Die Bibel zeigt uns noch einmal ein total anderes, ein freundliches Gesicht des Todes. Denn derselbe Paulus, der im Tod ein verdientes Gericht sieht, schreibt im Brief an die Philipper, er „...habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre.“ Und er sagt dort sogar „...Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn.“ Da haben wir nun das dritte Gesicht des Todes: Für den Christen ist der Tod erstens Naturgeschehen, zweitens Vollzug des göttlichen Gerichts – und drittens das Tor in den Himmel. Auf diesen dritten, den freundlichen Aspekt des Todes kommt es aber entscheidend an. Denn er ist es, der uns an Gräbern nicht bloß weinen und schweigen, sondern singen und reden lässt. Tatsächlich ist „Christus unser Leben und Sterben unser Gewinn“, weil der Tod eine Durchgangsstation ist in die ungetrübte Gemeinschaft mit Christus. Heute haben wir solche Gemeinschaft noch nicht, denn in diesem irdischen Dasein ist alles Stückwerk und Halbheit: Wir werden in diesem Leben den Zweifel nicht los, wir werden die Anfechtung nicht los, wir werden die Sünde nicht los, weil uns das alles zu sehr in den irdischen Knochen steckt. Jetzt sehen wir wie durch einen Spiegel nur ein dunkles und verschwommenes Bild, sagt Paulus. Dann aber werden wir Gott sehen von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkennen wir nur stückweise, dann aber werden wir erkennen, wie wir erkannt sind. Und das ist in der Tat eine verlockende Aussicht. Denn alle Schwachheit wird dann von uns abgetan. Wir werden teilhaben an der Auferstehung Jesu Christi. Wir werden bekleidet mit Ehre und Gerechtigkeit und ziehen als Vollendete ein in das Haus des himmlischen Vaters, das viele Wohnungen hat. Sind wir uns dieser großen Verheißungen aber bewusst und wissen wir, dass wir ungestorben nicht ans Ziel kommen, so werden wir den Tod nicht mehr für einen Feind halten, sondern für einen Freund. Denn er ist dann nichts weiter als ein kurzer Schlaf, nichts weiter als ein Fährmann, der uns zu besseren Ufern übersetzt, nichts weiter als unsere Geburt zum ewigen Leben: Etwas, wonach sich der Christ mit Fug und Recht sehnen darf...

 

Nun allerdings, da wir drei Gesichter des Todes kennengelernt haben, scheint die Verwirrung komplett. Denn jeder wird sich fragen, was er von seinem eigenen Tod halten soll. Welches der drei Gesichter schaut mich da an? Muss ich mich fürchten, darf ich mich freuen – oder etwa beides zugleich? Um das zu beantworten, müssen wir beachten, welche Geschöpfe es mit welchem Gesicht des Todes zu tun bekommen. Denn das ist nicht bei allen gleich. Für Pflanzen und Tiere ist der Tod ein Naturgeschehen im großen Schöpfungszyklus des Werdens und Vergehens – und nichts weiter. Pflanzen und Tiere kennen keine Sünde, darum ergeht über sie auch kein Gericht, und sie bedürfen darum auch keiner Erlösung. Sie sehen nur das erste, das neutrale Gesicht des Todes. Für Menschen ohne Glauben, die mit Gott entzweit sind, ist der Tod ebenfalls Naturgeschehen. Er ist darüber hinaus aber auch Gottes Gericht über ihr gottloses Dasein. Gott macht durch den Tod einen Strich durch ihr Leben und vernichtet die, die sich für das Nichtige entschieden haben. Der Ungläubige sieht also das erste und zweite Gesicht des Todes – das neutrale und das feindliche. Dem Christen aber begegnen alle drei Gesichter des Todes. Der Christ ist Geschöpf unter Geschöpfen und kennt daher den Tod als Naturgeschehen. Er ist auch als Christ immernoch ein Sünder und erfährt darum den Tod als Gericht über all das, was in ihm noch der alten Adamsnatur angehört. Schließlich aber ist er nicht nur Sünder, sondern ist vor allem ein um Christi willen gerechtfertigtes und freigesprochenes Kind Gottes. Er hat Anteil an der Auferstehung Christi, er hat die Verheißung des Ewigen Lebens – und wenn er das nur nicht vergisst, kann er getrost auf den Tod zugehen. Denn das freundliche Gesicht des Todes ist für Christen das entscheidende. Wenn der Tod auch alles gleichzeitig ist – natürliche Grenze und Gericht und Erlösung –, so stehen diese drei Dinge doch nicht gleichberechtigt nebeneinander, sondern werden klar dominiert von der Gewissheit der Erlösung. Wer sich darauf freut, ganz bei Gott zu sein, muss nicht darüber grollen, dass sein Erdenleben eine Grenze hat. Und wer ein neuer Mensch werden will, wird nicht widerstreben, wenn das Alte an ihm im Gericht des Todes untergeht. Vielmehr wird er sich freuen, dass der Tod dasjenige von ihm abstreift, was das Reich Gottes nicht ererben kann. So nimmt uns der Glaube die Scheu vor dem Tod – und wir können ihn begrüßen als den von Gott gesandten Fährmann, der uns hinüberbringt ins himmlische Jerusalem. Natürlich ist solche Glaubenszuversicht schwer durch-zuhalten, wenn’s wirklich ans Sterben geht. Wenn wir den Boden unter den Füßen verlieren, tun wir uns nicht leicht damit, uns in Gottes Hände fallen zu lassen. Wir klammern uns fest am letzten Quäntchen Lebenskraft. Und das gereicht uns nicht zur Ehre. Doch am Ende wird Gottes Gnade stärker sein als unsere Furcht, und Gott wird mächtig sein gerade in unserer Schwäche. Das letzte Wort hat nicht das Gericht, sondern die Gnade. Am Ende steht das österliche Lachen. Freuen wir uns also, und tun wir dem Tod nicht zuviel Ehre an. Denn Gott sei Dank ist Jesus Christus unseres Todes Tod!