VERNUNFT

 

„Sie (die Vernunft) weiß, dass Gott ist, aber wer oder welcher es sei, der da recht Gott heißt, das weiß sie nicht, und geschieht ihr eben, als den Juden geschah, da Christus auf Erden ging, und von dem Täufer Johanne bezeugt war, dass er vorhanden wäre. Da stund ihr Herz also, dass sie wussten, Christus wäre unter ihnen, und ginge unter den Leuten; aber welcher die Person wäre, das wussten sie nicht. Denn dass Jesus von Nazareth wäre Christus, konnte niemand gedenken. Also spielt auch die Vernunft der blinden Kuh mit Gott, und tut eitel Fehlgriffe, und schlägt immer nebenhin, dass sie das Gott heißt, das nicht Gott ist; und wiederum, nicht Gott heißt, das Gott ist; welcher sie keines täte, wo sie nicht wüsste, dass Gott wäre, oder wüsste eben, welches oder was Gott wäre. Darum plumpt sie so herein, und gibt den Namen und göttliche Ehre, und heißt Gott, was sie dünkt, das Gott sei, und trifft also nimmermehr den rechten Gott, sondern allewege den Teufel oder ihren eigenen Dünkel, den der Teufel regiert. Darum ist es gar ein großer Unterschied, wissen, dass ein Gott ist, und wissen, was oder wer Gott ist. Das erste weiß die Natur, und ist in allen Herzen geschrieben, das andere lehrt allein der Heilige Geist.“ (Martin Luther)

 

„…man versteht unter Vernunft die natürliche Erkenntnis und Einsicht in die Dinge und das Vermögen, auf Grund derselben hin zu urteilen. In letzterer Bedeutung ist die Vernunft wohl Erkenntnisprinzip für natürliche Dinge, nicht aber für die Theologie, welche sich mit den göttlichen Dingen beschäftigt. Mit diesen ist nun zwar die Vernunft, so lange der Mensch nicht gefallen war, in keinen Widerspruch getreten, wie überhaupt die Vernunft an und für sich betrachtet, in keinem Widerspruch mit ihnen steht, denn als solche ist sie sich der Grenzen ihres Gebietes bewusst, will sie göttliche Dinge nicht nach dem Maßstab ihrer natürlichen Erkenntnis messen und weiß sie, dass es Wahrheiten gibt, welche der bloßen Vernunft zwar nicht zuwider sind, aber doch über dieselbe hinausgehen. Nach dem Fall des Menschen aber verhält es sich anders: da tritt die Vernunft in Widerspruch mit der göttlichen Wahrheit. Sie hat darum auch nicht das Recht, die Wahrheiten der Offenbarung zu prüfen, noch weniger das, was mit ihrer Erkenntnis nicht zu stimmen scheint, zu verwerfen, vielmehr ist ihre Pflicht die, sich der Offenbarung zu unterwerfen und von ihr zu lernen. In letzterem Falle wird auch ihr wieder vieles einleuchtend werden, was ihr zuvor widersprechend schien und wird sie sich wieder mehr dem Zustande nähern, in welchem sie sich vor dem Falle befand.“ (Heinrich Schmid)

 

„Wenn des Tages Licht hinwegweicht, so gehet die Nacht und die Finsternis an, und gehet das finstere Licht, der Mond, auf, als das Nachtlicht; also ist außer Christo eitel Finsternis, und das rechte Nachtlicht der Vernunft verfinstert den Verstand. Gleichwie nun diejenigen närrisch tun, die mehr von dem Mond erleuchtet werden wollen, als von der Sonne; also tun die viel närrischer, so mehr wollen erleuchtet werden von der Weltweisheit, als von Christo, der göttlichen ewigen Weisheit. So närrisch ist es, wenn einer des Tages bei einem Licht besser sehen wollte, als bei der Sonne; ebenso närrisch ist es, wenn einer durch die Weltweisheit besser sehen und klüger sein wollte, als durch die Weisheit Gottes; welche ist Christus. O Torheit! wenn einer meinet, mehr erleuchtet zu werden durch die Kreatur, als durch den Schöpfer.“ (Johann Arndt)

 

„Der Doktor (Luther) ward gefragt, ob die Vernunft in den Christen etwas vermöchte, da sie in den Artikeln des Glaubens uns versperrt werden müsse? Antwortete er: Die Vernunft sei vor dem Glauben und der Erkenntnis Gottes Finsternis, doch in den Gläubigen ein gar treffliches Werkzeug. Denn gleichwie alle natürlichen Gaben und Werkzeuge in den Gottlosen gottlos sind, also sind sie in den Frommen heilsam. Da wird der Glaube durch Vernunft, Beredsamkeit, und Sprache vorangebracht, die ehezuvor den Glauben nur hinderten. Erleucht’te Vernunft, vom Glauben eingenommen, empfähet Lehen vom Glauben, sie ist ertötet und wiederum lebendig worden (…). Die Vernunft ist der Eitelkeit unterworfen, gleich als auch alle andern Kreaturen Gottes der Eitelkeit, d. i. dem Narrenwerk, unterworfen sind. Aber der Glaube trennet das Wesen von der Eitelkeit (...). Also soll die Eitelkeit verworfen werden, nicht das Wesen (…). So sind denn Vernunft, Sprache und alle Gaben und Kreaturen andre in den Frommen und Christen denn in den Unfrommen.“ (Martin Luther)

 

„Der Glaube ist kein Werk der Vernunft und kann daher auch keinem Angriff derselben unterliegen; weil Glauben so wenig durch Gründe geschieht als Schmecken und Sehen.“ (Johann Georg Hamann)