VERSÖHNUNG

 

„Wenn der Zorn Gottes, welcher auf den Menschen um ihrer Sünden willen ruht, samt allen seinen Folgen, ein gerechter und heiliger ist, so ist es auch mit Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit nicht verträglich, dass er so schlechthin und ungestraft den Menschen ihre Sünden vergibt, und allen Zorn samt seinen Folgen aufgibt: nicht mit seiner Gerechtigkeit, denn diese verlangt, dass er sich zu den Sündern anders verhalte als zu den Frommen, und dass er über die ersteren Strafe verhänge: nicht mit seiner Heiligkeit, denn der zufolge hasst er das Böse: endlich ist es auch nicht mit seiner Wahrhaftigkeit verträglich, denn er hat zuvor den Übertretern seines heiligen Gesetzes Strafe angedroht. Wenn Gott darum doch wieder in ein Gnadenverhältnis mit den Menschen treten soll, so muss zuvor etwas geschehen, was macht, dass er unbeschadet seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit es tun kann; es muss die Schuld, welche die Menschen durch ihre Sünden auf sich geladen haben, abgetragen werden, es muss ein Lösegeld bezahlt, es muss ein Ersatz geleistet werden für die Beleidigung, welche Gott ist angetan worden, oder was gleichbedeutend ist, es muss eine Genugtuung geleistet werden. Da nun eine solche zu leisten uns, den Menschen, unmöglich ist, so haben wir es als einen besondern Akt des göttlichen Erbarmens zu preisen, dass Gott eine solche durch Christum hat möglich zu machen gewusst, und dass er zu diesem Endzweck den Entschluss gefasst hat, Christum Mensch werden zu lassen, damit dieser die Genugtuung an unserer Statt leiste (…..). In Christo, dem Gott-Menschen ist daher alles Vermögen, eine solche Leistung zu vollbringen, welche einen Ersatz leistet für die Gott angetane Beleidigung: in ihm ist aber auch der Wille, für uns einzustehen, unser Bürge zu werden, unsere Schuld auf sich zu nehmen und Gott damit Genugtuung zu leisten. Diese zu leistende Genugtuung muss aber, wenn sie erfolgreich sein soll, von doppelter Wirkung sein: sie muss einmal bewirken, dass Gott aufhört, die Menschen als solche zu betrachten, welche den Forderungen des heiligen Gesetzes nicht genügt haben, welches dann geschieht, wenn der, welcher genugtun will, an der Menschen Statt das ganze Gesetz so erfüllt, dass von ihm jetzt geleistet ist, was von den Menschen unterlassen worden war. Dann muss die Genugtuung bewirken, dass auf den Menschen keine Schuld mehr ruht, um deretwillen sie Strafe verdienen, und dieses geschieht, wenn der für die Menschen Genugtuende die Strafen auf sich nimmt. Beides aber hat Christus bewirkt (..…). Indem Christus aber auf die beschriebene Weise genuggetan hat, hat er dadurch uns die Vergebung der Sünden und das ewige Heil erworben, welches wir sein Verdienst nennen, das uns zu Gut kommt.“ (Heinrich Schmid)