UNERFORSCHLICHKEIT GOTTES

 

„Menschliche Vernunft und Natur kann Gott in seiner Majestät nicht begreifen, darum sollen wir nicht weiter suchen noch forschen, was Gottes Wille, Wesen und Natur sei, denn so fern er's uns befohlen hat. Sein Wort hat er uns gegeben, darin er reichlich offenbaret hat, was wir von ihm wissen, halten, glauben, und weß wir uns zu ihm versehen sollen: nach demselben sollen wir uns richten, so können wir nicht irren. Wer aber von Gottes Willen, Natur und Wesen Gedanken hat außer dem Wort, will‘s mit menschlicher Vernunft und Weisheit aussinnen, der macht ihm viel vergeblicher Unruhe und Arbeit, und fehlet weit; denn „die Welt“, spricht St. Paulus, „durch ihre Weisheit erkennet Gott nicht in seiner Weisheit“, 1 Kor. 1,21. Auch werden die nimmermehr lernen noch erkennen, wie Gott gegen ihnen gesinnet sei, die sich damit vergeblich bekümmern, ob sie versehen oder auserwählet seien. Welche nun in diese Gedanken geraten, denen gehet ein Feuer im Herzen an, das sie nicht löschen können, also, dass ihr Gewissen nicht zufrieden wird, und müssen endlich verzweifeln. Wer nun diesem Unglück und ewiger Gefahr entgehen will, der halte sich an das Wort, so wird er finden, dass unser lieber Gott einen starken, festen Grund gemacht und geleget, darauf wir sicher und gewiss fußen mögen, nämlich Jesum Christum, unsern Herrn, 1 Kor. 3,11., durch welchen allein, umsonst, durch kein ander Mittel, wir ins Himmelreich müssen kommen; denn er, und sonst niemand, „ist der Weg, die Wahrheit und das Leben“, Joh. 14,6. Sollen wir nun Gott in seinem göttlichen Wesen, und wie er gegen uns gesinnet ist, recht und wahrhaftig erkennen, so muss es durch sein Wort geschehen. Und eben darum hat Gott der Vater seinen eingebornen Sohn in die Welt gesandt, dass er sollte Mensch werden, aller Dinge uns gleich, doch ohne Sünde, unter uns wohnen, und des Vaters Herz und Willen uns offenbaren; wie ihn denn der Vater uns zum Lehrer geordnet und gesetzt hat, da er vom Himmel rufet: „Dies ist mein lieber Sohn, … den sollt ihr hören“, Matth. 17,5. Als wollte er sagen: Es ist vergebens und umsonst, was Menschen vornehmen, meine göttliche Majestät zu forschen; menschliche Vernunft und Weisheit kann mich nicht ergreifen, ich bin ihr viel zu hoch und groß. Nun, ich will mich klein genug machen, dass sie mich ergreifen und fassen kann: ich will ihr meinen eingebornen Sohn geben, und also geben, dass er soll ein Opfer, ja, eine Sünde und Fluch für sie werden, und soll mir hierin Gehorsam leisten bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuz. Das will ich hernach predigen lassen in aller Welt, und die daran glauben, sollen selig werden. Das meinet St. Paulus, da er spricht 1 Kor. 1,21.: „Weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben.“ Das heißet ja die göttliche Majestät klein und begreiflich werden, dass nun niemand billig klagen soll noch kann, er wisse nicht, wie er mit Gott daran sei, weß er sich zu ihm versehen solle. Aber die Welt ist blind und taub, die weder siehet noch höret, was Gott redet und tut durch seinen Sohn; darum wird er‘s auch von ihnen fordern, 5 Mos. 18,19. Man kann die schwere Anfechtung von der ewigen Versehung oder Auserwählung, die viel Leute hoch betrübet, nirgend besser suchen, ja, finden und verstehen, denn in den Wunden Christi, von welchem der Vater gesagt und uns befohlen hat: „Den sollt ihr hören“, Matth. 17,5. Der Vater in seiner göttlichen Majestät ist uns zu hoch und groß, dass wir ihn nicht ergreifen können, darum weiset er uns den richtigen Weg, darauf wir gewisslich zu ihm kommen mögen, nämlich Christum, und spricht: Glaubet ihr an den, und hänget euch an ihn; so wird sich‘s fein finden, wer ich bin, was mein Wesen und Wille ist. Das tun aber die Weisen, Mächtigen, Hochgelehrten, Heiligen und der größte Haufe durchaus in aller Welt nicht. Darum ist und bleibet ihnen Gott unbekannt, ob sie gleich viel Gedanken von ihm haben, disputieren und reden: denn es ist kurzum beschlossen, dass außer Christo Gott unbekannt und ungefasset will sein.“ (Martin Luther)