UNBEGREIFLICHKEIT GOTTES

 

„Die vier Rabbiner, Asai, Elisa, Simon und Akiba, waren eifrig bemüht, Gott zu erkennen. Lange studierten sie mystische Schriften, um in Gottes Geheimnis einzudringen. Eines Tages aber gelang es ihnen und es tat sich ihnen das Tor des Paradieses auf. Gemeinsam schritten sie in den Himmel hinein und näherten sich der unbegreiflichen und furchtbaren Nähe Gottes. Als sie aber wiederkamen, war es schon Abend. Sie schritten riesengroß und dunkel aus der Glut des Westhimmels hervor in schwerem Schweigen. Die anderen Rabbiner aber, die ihnen neugierig entgegengingen, erschraken vor der Verstörung auf ihren Gesichtern. Rabbi Asai ging einfach schweigend in sein Haus und warf sich auf sein Lager, denn er konnte dem Zittern seiner Glieder nicht mehr Einhalt gebieten. Er kehrte sein bleiches Gesicht stumm zur Wand. Er verweigerte Speise und Trank. Sein Gesicht verfiel. Und seine erloschenen Augen harrten dem Tod entgegen. Da ging Rabbi Simon hinweg von seinem sterbenden Freund und sah sich um, und siehe: Die Welt hatte für ihn alles Maß verloren. Kein Ding stand mehr in einem Größenverhältnis zum andern. Alle Umrisse zerflossen und wälzten sich gegen ihn, wie um ihn auszulöschen. Zeit und Raum waren verschwunden, und alles stürzte in furchtbarer Gleichzeitigkeit und Allgegenwart gegen seine Augen. Da warf er sich zu Boden und hielt sich die Augen zu, aber er konnte sein Schauen nicht verhindern, und er schrie laut und schlug mit dem Kopf gegen die Steine, um den eindringenden Bildern einen Ausweg zu schaffen. Als aber die anderen Rabbiner auf sein entsetzliches Schreien hin herbeigeeilt kamen, da fanden sie ihn in Qualen des Wahnsinns. Da sprach Rabbi Elisa: „Uns ist das Maß genommen durch das Maßlose, das wir gesehen haben, und die Welt ist uns verwandelt. Alle Weisheit, der wir bisher unser Leben gewidmet haben, was ist sie anderes als ein vom großen Sinn abgesplittertes Stück Sinnlosigkeit, ein vom Ewigen abgebrochenes Stück Vergänglichkeit, eine vom Unendlichen abgetrennte Nichtigkeit! All unsere guten Werke, wiegen nicht mehr als ein Sandkorn. All unsere Frömmigkeit ist noch nicht mal eine halbe Stufe aufwärts zum Göttlichen. Was mühen wir uns so vergeblich unter der nutzlosen Last!“ Da trennte sich Elisa von den anderen Rabbinern und warf sich den Sünden der Welt und der Verzweiflung des Unglaubens in die Arme. Da erschraken die Verbliebenen und blickten auf Rabbi Akiba, ob sie wohl auch ihn auf so schreckliche Weise verlieren müssten. Und auch er verbarg sein verstörtes Gesicht in den Händen. Als er aber nach langer Zeit Herr über seine Gesichtszüge wurde und aufschaute, da sah er die Bestürzung um ihn her, und er sprach: „Weh uns! Wie tot sind wir, gemessen am Lebendigen! Wie eng sind wir, gemessen am Unendlichen! Wie töricht sind wir, gemessen an der ewigen Weisheit! Aber Gottes Hand ist über uns, und er hat uns diese Form gegeben. An uns ist’s, dass wir uns demütig fügen in unsere Gestalt und darin wirken.“ Und Rabbi Akiba stand entschlossen auf und ging ins Lehrhaus, um zu lehren Ewiges in den armen Formen der Erde. Und er wurde der größte Lehrer seines Zeitalters...“