TUGEND

 

„Die Tugend ist nichts anderes als eine beherrschte und maßvolle Liebe, die ganz zu Gott um Seiner selbst willen gerichtet ist. Denn Er selbst ist so sehr der ausschließliche Grund aller Tugenden, dass eine Tugend unvollkommen bleibt, wenn sich jemand zu ihrer Verwirklichung gedrängt fühlt durch einen zusätzlichen Grund außer Gott, selbst wenn dieser der Hauptgrund bleibt.“ (Die Wolke des Nichtwissens, anonym, 14. Jh.)

 

„Gott ist nichts als eitel Gnade, Liebe, Freundlichkeit, Geduld, Treue, Wahrheit, Trost, Friede, Freude, Leben und Seligkeit. Und das hat er alles in Christum gelegt: wer den hat, der hat dieses alles; und wer Gott liebt, der hat Gottes Wahrheit, Barmherzigkeit, Gütigkeit und alle Tugenden lieb. Denn ein rechter Liebhaber Gottes hat alles das lieb, was Gott lieb hat, und hat einen Verdruss an alle dem, was Gott verdrießt. Darum soll man die Gerechtigkeit lieb haben, denn Gott ist selbst die Gerechtigkeit; darum soll man die Wahrheit lieb haben, denn Gott ist selbst die Wahrheit; darum soll man lieb haben die Barmherzigkeit, weil Gott selbst ist die Barmherzigkeit; darum soll man die Sanftmut und Demut lieb haben, um des sanftmütigen und demütigen Herzens Christi willen. Hinwieder hasset ein wahrer Liebhaber Gottes alle Untugend, denn sie ist Gott zuwider und Gottes Feind, und ein Werk des Teufels.“ (Johann Arndt)

 

„Sei einfach, besonnen und treu in der Arbeit, welche dir obliegt. Lüge nicht, schwöre nicht, betrübe, bedrücke, verachte, beneide keinen, täusche niemanden mit Worten oder Werken, urteile nicht voreilig, verkleinere niemandes Ehre, maße dir nichts an, hüte dich vor beißender Rede und räche dich nicht. Liebe vielmehr alle, und lass dich gern überwinden. Die, mit denen du lebst, belehre durch gute Worte, noch mehr durch ein gutes Beispiel. Beleidigt dich jemand, so vergib ihm sofort von Herzen, wenn er es auch nicht begehrt, zeige dich gegen ihn so freundlich, dass er sich vor Gott und vor dir schämen muss. Fliehe allen Heuchelschein und alle Verstellung, gehe nicht darauf aus, von andern bewundert und für besonders heilig gehalten zu werden, sondern schließe dich der gewöhnlichen Umgangsweise an, und sei immer bereit, allen, die deinen Beistand suchen, zu dienen.“ 

Ruysbroek (+1381)