DEMUT

 

„Was ist die Demut? Wann ein Mensch, in Betrachtung der hohen Majestät Gottes, und hingegen seines eigenen menschlichen Unvermögens und elenden Zustandes, sich von Herzensgrund erniedriget, alles Vermögen, Gaben und an Seel und Leib verliehene Güter Gott dem Herrn zuschreibet, und sich derselben ganz unwürdig schätzet, dabei auch herzlich gesinnet ist, solche verliehene Gaben, Geschicklichkeit, Güter und dergleichen zu Seinen Ehren und des Nächsten Erbauung zur Seligkeit in aller Einfalt anzuwenden.“ (Philipp J. Spener)

 

„Demut an sich ist nichts anderes als eine schonungslose Erkenntnis und Erfahrung des eigenen Selbst in seiner Beschaffenheit. Denn wer wirklich erkennt und erfährt, wie er ist, müsste gewiss auch wirklich demütig sein. Zwei Gründe gibt es für diese Demut: der eine ist die schmutzige Erbärmlichkeit und Hinfälligkeit des Menschen, ein Zustand, in den er durch die Sünde gefallen ist und den er immer irgendwie an sich erfahren muss, solange er in diesem Leben weilt, und wäre er noch so heilig. Der andere Grund ist die überströmende Liebe und Erhabenheit des göttlichen Seins, bei dessen Betrachtung die ganze Natur erbebt, die Gelehrten sich als Narren entlarven und alle Engel und Heiligen geblendet werden; so sehr, dass ihnen ich weiß nicht was widerführe, wenn Er nicht kraft Seiner göttlichen Weisheit ihnen davon nur soviel zu erschauen gäbe, als dem Maße ihrer Befähigung durch ihre Natur und die Gnade entspricht.“ (Die Wolke des Nichtwissens, anonym, 14. Jh.)

 

„Aus sich nichts machen und andere gern für besser und höher achten, als man selber sein mag – das ist große Weisheit und Vollkommenheit. Und sähst du einen andern öffentlich sündigen oder einen schweren Fall tun: So halte dich deshalb nicht für besser als ihn. Denn sieh: Du weißt ja nicht, wie lange du selbst noch im Guten feststehen wirst. Gebrechlich sind wir alle, aber gebrechlicher als du sei in deinen Augen keiner.“ (Thomas von Kempen)

 

„Das ist die Summe und der Kern alles dessen, was uns die Gnade lehrt: die Sinne bezähmen, das eitle Wohlgefallen verschmähen, sich nicht selbst zur Schau stellen, vielmehr alles, was des Lobes und der Bewunderung wert sein mag, mit dem Schleier der Bescheidenheit und Einfachheit verhüllen, in allen Dingen und allen Wissenschaften nichts anderes suchen, als dass Gott dadurch in allem gelobt und verherrlicht und der sinkenden Menschheit unter die Arme gegriffen werde.“ (Thomas von Kempen)

 

„Der Mensch, der etwas sein will, ist die Materie, daraus Gott nichts macht, ja daraus er die Narren macht; ein Mensch aber, der nichts sein will, und sich für nichts hält, ist die Materie, daraus Gott etwas macht, und herrliche, weise Leute vor ihm. Ein Mensch, der sich vor Gott für den geringsten achtet, für den elendesten, ist bei Gott der größte und herrlichste; der sich für den größten Sünder hält, ist bei Gott der größte Heilige. Siehe, dies ist die Niedrigkeit, die Gott erhöhet, das Elend, das Gott ansiehet, und die Nichtigkeit des Menschen, daraus Gott etwas macht. Denn gleichwie Gott Himmel und Erde aus nichts gemacht hat zu einem herrlichen und wunderbaren Gebäu, also will er den Menschen, der auch nichts ist in seinem Herzen, zu etwas Herrlichem machen (…..). Sehet einen Künstler an, soll er ein Kunststück machen, so muss er ganz eine neue Materie haben, daraus er es macht, es darf kein anderer daran gesudelt haben. Also tut Gott auch, soll er aus dem Menschen etwas machen, so muss er nichts sein. Der aber sich selbst zu etwas machet, und meinet, er sei etwas, der ist nicht Gottes Materie, daraus er etwas macht, ist nichts, ja Gott siehet ihn nicht an.“ (Johann Arndt)