GOTTESFURCHT

 

„Du donnerst über mir deine Gerichte, o Herr und mit Furcht und Schrecken erschütterst du alle meine Gebeine, und tief erbebt meine Seele. Bestürzt stehe ich da, und erwäge, dass selbst die Himmel nicht rein sind vor deinem Angesicht. Wenn du an den Engeln Bosheit gefunden, und auch ihrer nicht geschont hast: was wird mit mir werden? Sterne sind vom Himmel gefallen, und ich Staub, was nehme ich mir heraus? Die, deren Werke löblich schienen, fielen in die Tiefe hinab, und die das Brot der Engel aßen, sah ich an den Träbern der Schweine sich ergötzen! Keine Heiligkeit gibt es also, wenn du, Herr, deine Hand abziehest. Keine Weisheit nützt, wenn du zu leiten aufhörst. Keine Stärke hilft, wenn du zu beschirmen ablässest. Keine Keuschheit ist sicher ohne deinen Schutz. Keine eigene Wachsamkeit frommt, wenn dein heiliges Auge nicht wacht. Denn uns selbst überlassen, versinken wir und kommen um; wenn du uns aber heimsuchst, so erheben wir uns und leben. Wir sind unbeständig, aber durch dich werden wir befestiget; wir sind lau, aber durch dich werden wir entzündet. O wie demütig und gering muss ich von mir selbst denken! Wie für nichts muss ich es achten, wenn ich etwas Gutes zu haben scheine! O wie tief muss ich mich unterwerfen deinen unergründlichen Gerichten! o Herr! da ich finde, dass ich nichts anderes bin, als nichts und abermal nichts! O unermessliche Last! o undurchschwimmbares Meer, wo ich nichts an mir finde, als in Allem Nichts! Wo ist also ein Schlupfwinkel für Ruhm? Wo das Vertrauen auf vermeinte Tugend? Verschlungen ist alles eitle Rühmen in dem Abgrund deiner Gerichte über mich! Was ist alles Fleisch vor deinem Angesicht? – Mag sich der Ton wohl rühmen gegen den Töpfer, der ihn bildet? Wie kann sich der in eitler Rede erheben, dessen Herz in Wahrheit Gott unterworfen ist? Wen die Wahrheit demütig gemacht hat, den kann die ganze Welt nicht übermütig machen; noch wird durch aller Lobredner Mund der bewegt, welcher all seine Hoffnung auf Gott gegründet hat. Denn auch die, welche dich loben, sieh! sind allzumal nichts; sie werden verschwinden, wie der Schall ihrer Worte; aber die Wahrheit des Herrn bleibet in Ewigkeit.“ (Thomas von Kempen)

 

„Die Furcht des Herrn ist der Anfang und die Grundlage aller wahren Religion. Ohne ernste Ehrfurcht und Ehrerbietung vor Gott ist kein Halt da für die glänzenderen Tugenden. Der, dessen Seele nicht Gott verehrt, wird nie in Heiligkeit leben. Der ist glücklich, der eine ängstliche Furcht fühlt, Unrecht zu tun. Eine heilige Furcht sieht nicht nur zu, ehe sie einen Sprung tut, sondern ehe sie eine Bewegung macht. Sie ist bange vor Irrtum, bange vor Vernachlässigung der Pflicht, bange vor dem Begehen einer Sünde. Sie fürchtet schlechte Gesellschaft, loses Geschwätz und zweifelhafte Klugheit. Dies macht einen Menschen nicht elend, sondern bringt ihm Glück. Die wachsame Schildwache ist glücklicher als der Soldat, der auf seinem Posten schläft. Wer das Übel vorher sieht und ihm entgeht, ist glücklicher als der, welcher sorglos weiter geht und umkommt. Die Furcht vor Gott ist eine ruhige Gnade, die den Menschen eine treffliche Straße entlang führt, von der geschrieben steht: „Es wird da kein Löwe sein und wird kein reißendes Tier darauf treten.“ (Charles H. Spurgeon)