Gott ist wie eine verschlossene Burg, die sich nur an einer Stelle für den Menschen öffnet. Durch Taufe, Abendmahl, Bibel, Gebet und Gottesdienst will Gott sich finden lassen. Hier hat er die Zugbrücke heruntergelassen. Macht es da Sinn, über die Mauer zu klettern? Nein. Darum ist der Glaube ein fröhlicher Gehorsam, der von der Bahn, die Gott ihm beschrieben hat, weder links noch rechts abweicht. Er steigt nicht zum Fenster ein, sondern er nimmt die Tür. Denn Glauben heißt, Gott dort zu suchen, wo er gefunden werden will – und nirgends sonst.                                           

Gottes Verborgenheit und Wegweisung

Wo soll man Gott suchen?


Wenn man irgendwo unterwegs ist und nach dem Weg gefragt wird, kann man die seltsamsten Dinge erleben. Ich war einmal in der Stadt, da hielt ein Auto neben mir. Ein Mann stieg aus und fragte mich nach dem Weg. Ich kannte sein Ziel und beschrieb ihm den Weg: „Sie sind schon ganz in der richtigen Richtung“, sagte ich. „Aber da vorne bei der Ampel müssen sie noch rechts abbiegen und die zweite Querstraße, die ist es dann schon.“ Der Mann nickte und wiederholte die Wegbeschreibung: „Hier also geradeaus, an der Ampel rechts, zweite Querstraße“. Er bedankte sich und stieg in seinen Wagen, wendete dann aber zu meiner Verblüffung und brauste in die entgegengesetzte – falsche! – Richtung davon. Donnerwetter, dachte ich – sollte ich mich so missverständlich ausgedrückt haben? Oder hat er es sich plötzlich anders überlegt? Was ist los mit dem, dass er erst nach einer Wegbeschreibung fragt und sich dann doch nicht daran hält? Nun – ich habe es nie herausgefunden. Denn ich traf den Mann ja nicht wieder. Doch im Nachdenken über sein Verhalten wurde mir bewusst, dass im Zusammenhang mit solchen Auskünften noch mehr merkwürdige Dinge geschehen. Es gibt nämlich auch Menschen, die fragen nach dem Weg, und wenn man den Weg dann beschreibt, wird man von ihnen in eine Diskussion verwickelt. Man sagt: „Es ist ganz einfach. Gehen sie hier geradeaus, an der Ampel rechts und dann in die zweite Querstraße“. Sie aber antworten: „Wäre es linksherum nicht kürzer?“ „Oder könnte man auch durch die Unterführung gehen?“ „Ginge es mit der Straßenbahn schneller?“ „Oder vielleicht – wegen der Baustelle – ganz anders: über den Opernplatz?“ Die eigene Wegbeschreibung, die man eigentlich ganz einleuchtend fand, wird in Frage gestellt. Man beginnt, die gegebene Auskunft zu rechtfertigen. Und zugleich wundert man sich. Denn wenn der andere meint, er wüsste besser, wie er zum Ziel kommt – warum fragt er mich dann überhaupt? Seltsam sind diese Leute, die sich auskennen und trotzdem fragen. Der Gipfel sind aber die Vertreter der dritten Gruppe, die offenkundig orientierungslos sind und sich trotzdem nicht helfen lassen. Man sieht diese Leute mit dem Stadtplan in der Hand umherirren. Und es ist klar zu erkennen, dass sie etwas suchen. Sie lesen Straßenschilder, drehen ihre Karte hin und her und schimpfen dabei. Aber sie laufen lieber dreimal um denselben Häuserblock, als dass sie jemanden fragen. Vielleicht sind sie schüchtern, denkt man. Aber bei vielen (besonders bei Männern) ist es eher der Stolz, der sie hindert. Denn eine bestimmte Sorte von Männern fragt prinzipiell nie nach dem Weg. Sie haben den Ehrgeiz des Pfadfinders, der sich allein in der Wildnis zurechtfindet. Und darum verlaufen sie sich lieber, als dass sie Hilfe annehmen. Denn dann müssten sie ja zugeben, dass sie aus ihrer Karte nicht schlau werden... Warum aber erzähle ich das alles? Nicht etwa, weil ich mich über diese Leute lustig machen möchte, sondern einfach, weil es in Glaubensdingen dieselben eigenartigen Verhaltensweisen gibt. Ja: Auch auf dem Weg zu Gott gibt es die, die sich das Ziel beschreiben lassen – und dann in die entgegensetzte Richtung davon brausen. Auch auf dem Weg zu Gott gibt es die, die um eine Wegbeschreibung bitten – nur um sie dann endlos in Zweifel zu ziehen. Und auf dem Weg zu Gott gibt es auch jene stolzen Pfadfinder, die orientierungslos sind – und trotzdem nicht nach dem Weg fragen, weil sie ihr Ziel auf eigene Faust finden wollen. Dabei ist gerade im Falle Gottes ganz klar, dass man ohne Hilfe nicht zum Ziel kommt. Gerade im Falle Gottes liegt es auf der Hand, dass es einer Wegweisung bedarf. Und wer einen Moment darüber nachdenkt, versteht auch, dass diese Wegweisung nur von Gott selbst gegeben werden kann, denn Gott überschreitet ja unseren menschlichen Horizont. Er ist anders als alles, was wir sonst noch kennen. Und er ist darum auch kein Objekt, dem man sich auf die übliche Weise nähern könnte. Unsere Sinne können Gott nicht ertasten, unser Verstand kann ihn nicht begreifen, und unsere Gefühle können ihn auch nicht erspüren. Er ist für uns unzugänglich wie eine Burg, die ein tiefer Graben umgibt, und die hinter dem Graben hohe, unüberwindliche Mauern hat. Niemand käme hinein, wenn sich die Burg nicht an einer Stelle nach außen hin öffnete. Niemand könnte Gott finden, wenn Gott nicht gefunden werden wollte. Wir wüssten nicht mal von ihm, wenn er sich uns nicht mitgeteilt hätte. Doch er hat es getan. Und er will auch von uns gefunden werden. Denn wie ein Burgherr, der an einer Stelle der Burg die Zugbrücke herunterlässt, um seine Gäste hereinzulassen, so hat Gott sich den Menschen offenbart. Und er hat uns im Neuen Testament eine Wegbeschreibung zukommen lassen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: Willst du zu Gott – könnte man sie zusammenfassen –, so geh den Weg über die Taufe in die Gemeinschaft der Kirche, stärke dich dort durch das Abendmahl, vertiefe dich in Gottes Wort und folge den Geboten, vergiss nicht das Gebet und den Gottesdienst, übe dich in der Liebe und wachse im Glauben, vor allem aber halte dich stets an Jesus Christus – denn dann wirst du Gott finden. Das ist die Wegbeschreibung, die Gott seinen Gästen hat zukommen lassen. Das ist der Weg, auf dem er gesucht werden will. Denn Jesus Christus ist die Zugbrücke, die Gott für uns herunterlässt. Jesus ist die Tür, durch die wir eintreten sollen. Und es sind sogar Boten unterwegs, um auf diese Zugbrücke und auf diese Tür hinzuweisen, als auf den einzigen gangbaren Weg. Doch was geschieht? Es ist zum Weinen: Dem einen beschreibt man den Weg – er nickt sogar – und braust dann doch in die andere Richtung davon. Hat er es sich anders überlegt? Oder hat ihn etwas abgelenkt? Gibt es ein anderes Ziel, das ihm auf einmal reizvoller erscheint? Dem Nächsten beschreibt man den Weg – es scheint ihn wirklich zu interessieren. Doch dann geht er nicht los, sondern fängt an, mit uns über die Vor– und Nachteile dieses Weges zu streiten: „Könnte man nicht auch ganz anders und viel kürzer – hintenrum und obendurch?“ Ja, denkt man – wenn du mir nicht glaubst, warum glaubst du nicht wenigstens der Bibel? Warum fragst du mich überhaupt, wenn du die Antwort doch nicht gelten lässt? Und der Dritte, dem man gerne den Weg beschreiben würde – der winkt ab und hört nicht zu, weil er den Weg zu Gott unbedingt auf eigene Faust finden will. Er verachtet die ausgetretenen Pfade der Kirche, auf denen so viele vor ihm gegangen sind – er will unbedingt originell sein – und schlägt sich darum seitwärts ins Gebüsch. Halt, rufen wir. Was denkt ihr denn? Gott hat es nicht eurem Belieben überlassen, auf welchem Wege ihr zu ihm kommt! Gott hat uns doch Hilfen zur Orientierung gegeben und hat Hinweisschilder aufgestellt. Seht ihr sie denn nicht? Da sind Taufe, Abendmahl und Bekenntnis, Bibel und Gebot, Gebet und Gottesdienst, Liebe und Glaube! Jesus ist der Weg! Doch leider, wie das bei Wegbeschreibungen so ist: Die einen verlieren das Ziel aus den Augen, weil sie sprunghaft sind. Die anderen streiten mit uns über den Weg, statt ihn zu beschreiten. Die Dritten akzeptieren überhaupt nur Wege, die sie selbst entdeckt haben. Und allesamt reden verächtlich über die Wegweiser, die Gott so liebevoll für sie aufgestellt hat. Sie kritisieren den Weg, weil es seit Jahrhunderten immer der gleiche ist, der empfohlen wird. Sie kritisieren den Weg, weil sie lieber eine bequeme Abkürzung nehmen würden. Sie kritisieren den Weg, weil er ihnen nicht originell vorkommt. Aber bitte – muss man dann sagen: Ist das Entscheidende an einem Weg nicht, dass er zum Ziel führt? Und wenn Gott selbst den Weg festgelegt hat, auf dem wir ihn erreichen sollen, macht es dann Sinn, mit Gott darüber zu streiten? Ist es klug, die Zugbrücke zu ignorieren und stattdessen an der Mauer hochzuklettern, nur weil man meint, man wüsste es besser als der Gastgeber und Burgherr? Nein. Es ist hier leider wie auch sonst im Leben: Wer eine präzise Wegbeschreibung bekommt und ihr nicht folgt, ist selber schuld. Er wird sich im großen Wald der Weltanschauungen verlaufen, wird den Irrlichtern der Esoterik folgen oder im Sumpf der Sekten versinken. Vielleicht sagt er: „Ich versuche Gott nahezukommen auf meinem eigenen, ganz neuen Weg – ohne Christus, ohne Kirche, ohne Bibel.“ Aber was heißt das anderes, als dass er, statt die Tür zu benutzen, durchs Fenster in Gottes Haus einzusteigen versucht? Sie mögen es nennen, wie sie wollen – diese Leute bleiben doch religiöse Fassadenkletterer, die nicht durch die Tür, sondern über die Mauer in Gottes Burg gelangen möchten. Doch dazu hat Gott sie nicht eingeladen. Sie brechen sich dabei den Hals. Und wenn sie tatsächlich hineingelangten, würde der Hausherr sie doch nicht freundlich empfangen. Denn schließlich ist es auch uns nicht egal, auf welchem Wege einer in unser Haus gelangt. Kommt ein Besucher durch die Tür, die ich für ihn geöffnet habe – dann halte ich ihn für einen Gast und heiße ihn willkommen. Kommt er aber nachts durchs Fenster oder durch den Keller – so halte ich ihn für einen Einbrecher und behandle ihn entsprechend. Warum aber sollte Gott das anders sehen? Sollte er Leute mögen, die er vorne freundlich einlädt, und die es doch vorziehen, sich durch die Hintertür in sein Haus einzuschleichen? Nein. Darum geht der Glaube den Weg, der ihm gewiesen ist. Und er mäkelt auch nicht daran herum. Denn Gott selbst hat die Schritte vorgegeben, die zu gehen sind, als er uns die Bibel gab, das Gebet, die Sakramente, die Gebote und die Gemeinschaft der Kirche. Gott hat uns sogar seinen Sohn geschickt als einen zuverlässigen Führer, damit wir seinen Spuren folgend sicher in Gottes Reich hineingelangen! Er hätte das nicht getan, wenn hundert andere Wege genauso zum Ziel führten. Es gibt auch nicht hundert Wege zu Gott. Es gibt nur den einen. Und wenn der zuverlässig zum Ziel führt, dann muss er nicht unbedingt bequem sein, modern oder originell. Vielmehr freut sich der Glaube, dass es diesen Weg überhaupt gibt. Der Glaube versucht nicht klüger zu sein als Gott, sondern er bleibt in der Spur, auf die Jesus ihn gesetzt hat. Denn Jesus kennt den Weg zum Vater. Und wenn er so freundlich ist, uns mitzunehmen – dann gilt es, an ihm dranzubleiben. Schließlich: Wenn wir die Wegbeschreibung Jesu hören, wenn wir Gottes Wort lesen und zum Abendmahl gehen können, wenn wir gelernt haben zu beten und die Gemeinschaft der Gläubigen uns offen steht – und wir wollten das alles verachten –, wären wir dann nicht schrecklich dumm? Deshalb ist der Glaube ein fröhlicher Gehorsam, der von der Bahn, die Gott ihm beschrieben hat, weder links noch rechts abweicht. Der Glaubende sucht seinen Weg nicht selbst, sondern er lässt sich führen. Er steigt auch nicht zum Fenster ein, sondern er nimmt die Tür. Und die Hilfen, die Gott für ihn bereithält, die nimmt er gern in Anspruch. Er freut sich, dass Gottes Zugbrücke unten ist. Und er steuert fröhlich auf sie zu. Denn Glauben heißt, Gott dort zu suchen, wo er gefunden werden will – und nirgends sonst...