Das Kennzeichen „echten“ Glaubens ist es, dass seine Gottesbeziehung nicht „Mittel zum Zweck“, sondern „Selbstzweck“ ist. Denn wer wirklich Gott sucht, der sucht ihn um seiner selbst willen. Wo man dagegen die Beziehung zu Gott „nutzen“ will, um das eigene Lebensgefühl zu steigern oder die Welt besser zu genießen, da wird alles falsch: Denn Gott ist das Ziel. Das irdische Leben ist nur der Weg. Und diese beiden Dinge nicht zu verwechseln, das ist das Kennzeichen „echten“ Glaubens.      

Echtheit des Glaubens

Ist die Gottesbeziehung Mittel oder Zweck?


Ist mein Glaube „echt“? Diese Frage hat sich wohl jeder Christ schon einmal gestellt. Denn bekanntlich gibt es in der Welt des Religiösen nicht nur den „wahren Glauben“, sondern es gibt auch viel frommen Selbstbetrug. Bei anderen Menschen sind wir besonders sensibel dafür. Wenn sie vom Glauben reden und doch nicht danach leben, empört uns das. Was aber, wenn es sich bei uns selbst genauso verhielte? Es müsste ein wunderlicher Christ sein, der da nicht ab und zu an sich zweifelte. Denn über den eigenen Glauben verfügt man schließlich nicht wie über eine erlernte Fähigkeit. Man kann ihn nicht vorzeigen wie einen Besitz. Er ist eine Angelegenheit des Herzens. Und ob ich „in mir drin“ Glauben „fühle“, das kann von schwankenden Stimmungen abhängen. Was also, wenn man sich etwas vorgemacht hätte und der eigene Glaube wäre bloß schöner Schein? Die Gefahr ist real. Und darum sollte man einer kritischen Selbstprüfung nicht aus dem Wege gehen. Nur: Wie kann ich die „Echtheit“ meines Glaubens prüfen? Welchen Maßstab kann ich zugrundelegen? Von der Antwort auf diese Frage hängt viel ab. Denn wenn ich schon den Maßstab für die „Echtheit“ des Glaubens falsch bestimme, kann das Ergebnis meiner Prüfung kaum richtig sein. Erwarte ich, dass „wahrer“ Glaube keine Zweifel kennt, so werde ich nach solchem Glauben vergeblich suchen. Unterstelle ich, ein „echter“ Christ müsse moralisch vollkommen sein, so jage ich ein Phantom. Und fahnde ich in mir nach konstant-frommen Gefühlen, so werde ich enttäuscht werden. Unter derart falschen Voraussetzungen muss meine Selbstprüfung negativ enden. Denn ein Christ ist schließlich kein Engel. Wenn es aber nicht die emotionale Konstanz ist, die den „wahren“ Glauben kennzeichnet, und auch nicht die moralische Vollkommenheit – was ist es dann? Was unterscheidet dann den „echten“ Glauben vom „eingebildeten“? Ich meine: Der Unterschied liegt im Ziel. Wer wissen will, wie es um seinen Glauben steht, der muss sich fragen, ob seine Gottesbeziehung „Mittel zum Zweck“, oder ob sie „Selbstzweck“ ist. Denn wer wirklich Gott sucht, der sucht ihn um seiner selbst willen. Seine Gottesbeziehung hat kein anderes Ziel, als mit Gott in Beziehung zu sein. Gott selbst ist das Ziel. Und der Glaube ist in dem Maße „echt“, in dem er auf außerhalb der Gottesbeziehung liegende Ziele verzichtet. Der „eingebildete“ und „falsche“ Glaube verrät sich nämlich dadurch, dass er an Gott nur ein indirektes Interesse hat. Er gebraucht Religion als Instrument. Er sucht in Gott einen mächtigen Verbündeten der eigenen Absichten. Er „glaubt“ aber nur, weil er sich etwas davon verspricht. Vielleicht fragt er nach Gott, weil das seinem seelischen Wohlbefinden dient. Vielleicht gibt er sich „christlich“, um bestimmten Menschen zu gefallen. Möglicherweise fragt er nach Gott, weil er für tiefsinnig gehalten werden will. Oder er übt sich in Frömmigkeit, damit seine Gebete erhört werden. Die Motive können ganz verschieden sein. Doch ist das religiöse Verhalten dabei immer Teil einer menschlichen Strategie, die Gott zu ihrem Erfüllungsgehilfen machen will. Vordergründig sieht es so aus, als schauten wir Gott ins Gesicht. Doch in Wahrheit schielen wir an ihm vorbei auf etwas ganz anderes. Wir gebärden uns „religiös“, um Gott zu manipulieren. Wir suchen in ihm den großen Resonanzkörper, der unserer eigenen Stimme „ewigen“ Widerhall verschafft. Wir suchen die himmlische Bühne, um uns darauf effektvoll darzustellen. Wir weiden uns an der metaphysischen Bedeutsamkeit unseres Daseins. Doch so oder so ist das alles weit entfernt von „echtem“ Glauben. Denn mein „Ego“ wird dabei nicht relativiert, sondern religiös überhöht und gesteigert. Ich wünsche mir, Gott möge für mich sein wie meine rechte Hand. So nützlich, so dienstbar, so selbstverständlich verfügbar. „Glauben“ aber heißt, für Gott sein zu wollen, wie seine rechte Hand. So nützlich, so dienstbar, so selbstverständlich verfügbar. „Echter“ Glaube fragt nicht danach, was Gott für ihn tun kann – er weiß ja, dass Gott schon mehr als genug für ihn getan hat. Er fragt vielmehr, was er für Gott tun kann – um nützlich zu sein in Gottes Plan. „Eingebildeter“ Glaube bestürmt Gott mit Gebeten, um ihn dahin zu bringen, dass er will, was ich will. „Wahrer“ Glaube dagegen bemüht sich zu wollen, was Gott will. Die Frage, mit der wir uns selbst auf die Schliche kommen, ist darum ganz einfach: Versuche ich Gott zu einem Werkzeug meines Lebenskonzeptes zu machen, oder bin ich bereit ein Werkzeug seines Konzeptes zu sein? Will ich Gott als Mittel zu meinen Zwecken gebrauchen, oder will ich als Mittel zu seinen Zwecken dienen? Steht Gott im Mittelpunkt meines Strebens, oder steht im Mittelpunkt das, was ich mit seiner Hilfe aus mir selbst machen möchte? Integriere ich Gott in mein Leben, oder lasse ich mich integrieren in seins? Weise ich ihm eine Rolle zu im Schauspiel meines Daseins, oder akzeptiere ich, dass er der Regisseur ist? Folge ich ihm nur, solange er mir die Heldenrolle überlässt? Oder gestehe ich ihm auch das Recht zu, mich zum Komparsen zu machen? Ist mein Glaube also bloß das religiöse Sahnehäubchen oben auf dem Gesamtkunstwerk meiner Selbstverwirklichung? Oder habe ich mich Gott bedingungslos ausgeliefert, auf dass er in mir und durch mich verwirkliche, was er will? Um den Unterschied noch einmal auf den Punkt zu bringen, will ich an den Kirchenlehrer Augustin erinnern. Er lehrte, das Verhältnis eines Menschen zu einem Ding könne zweifach sein: Entweder hängt man einer Sache an, um ihrer selbst willen. Das nennt Augustin die Sache „genießen“ (lat. „frui“). Oder man befasst sich mit einer Sache nur, um sie zu „gebrauchen“ und mit ihrer Hilfe dem näher zu kommen, was man eigentlich „genießen“ will (lat. „uti“). „Genießen“ will man also das Ziel, die Mittel dazu will man bloß „gebrauchen“. Was aber ist in Wahrheit eines Menschen „Ziel“ und was sollte für ihn bloß „Mittel“ sein? Augustin meint, dass die meisten Menschen die sinnvolle Ordnung auf den Kopf stellen: Sie sind nämlich darauf aus, die Welt zu „genießen“, und wollen Gott nur „gebrauchen“, soweit er ihnen zum Genuss der Welt verhilft. Eben diese Verwechslung von „uti“ und „frui“ habe ich oben den „falschen“ und „eingebildeten“ Glauben genannt. „Wahrer“ und „echter“ Glaube dagegen kehrt das Verhältnis um: Er erkennt, dass Gott der Inbegriff und der Ursprung des Guten ist. Und darum sehnt er sich danach Gott zu „genießen“, während er die Welt nur „gebrauchen“ will, soweit sie ihm zum Genuss Gottes verhilft. Gott ist also das Ziel. Das irdische Leben ist nur der Weg. Und diese beiden Dinge nicht zu verwechseln, das ist das Kennzeichen „echten“ Glaubens. Ich gebe zu, dass damit ein sehr hoher Anspruch erhoben wird. Solcher Glaube verlangt zwar keine moralische Vollkommenheit, keine zweifelsfreie Rechtgläubigkeit und auch keine konstant-religiösen Stimmungen. Aber klare Prioritäten verlangt er schon. Solcher Glaube steht auch eindeutig im Gegensatz zur Erwartungshaltung moderner „Religiosität“. Aber was hilft’s? Es geht im Christentum nun mal nicht um spirituelle „Wellness“ oder um religiöse „Kicks“ – sondern es geht um Erlösung. Unser Glaube ist weder „nützlich“ noch „lustig“ – aber er ist befreiend. Unser Gott ist weder „brauchbar“ noch „nett“ – aber er ist barmherzig. Und das genügt als Anreiz, um uns immer wieder auf den Weg zu bringen. Dabei ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die selbstkritische Prüfung unseres Glaubens immer wieder zu deprimierenden Ergebnissen führt. Keiner ist frei von Hintergedanken und Nebenabsichten. Keiner hat ein für allemal den „wahren“ Glauben errungen. Doch wenn unsere Selbstprüfung viel Menschliches und wenig Göttliches zu Tage fördert, müssen wir deswegen nicht verzweifeln. Im Gegenteil: Wir können es zum Anlass nehmen, uns Gott erneut in die Arme zu werfen, und den Glauben, den wir nicht haben, von ihm zu erbitten. Stimmen wir ein in den Ruf jenes Mannes der Jesus bat „Herr, ich glaube – hilf meinem Unglauben!“ Und seien wir gewiss, dass solches Bitten nicht vergeblich sein wird…