LIEBE

 

„Dieweil der Liebe Natur und Wesen ist, dass sie sich selbst mitteilt, austeilt und schenkt, darum lässt sich die rechte Liebe nicht halten, sie gibt sich selbst und teilt sich selbst mit. (…) Was nun einem andern gegeben ist, das ist in seiner Gewalt. Darum ist nun die Liebe dessen, dem sie gegeben wird, und wird dessen, den man liebt. Weil nun der Mensch nichts mehr eignes hat denn seine Liebe, deshalb, wem er seine Liebe gibt, dem gibt er sich selbst, und auf diese Weise wird der Liebende mit dem Geliebten vereiniget und wird ein Ding mit ihm, und aus zweien eins ins andere verwandelt (…) also, dass die Liebe ihren Namen von dem Geliebten bekommt. Denn wenn man ein irdisches Ding liebt, so heißt es eine irdische Liebe, liebt man etwas Totes, so heißt es eine tote Liebe, liebt man viehische Dinge, so heißt es eine viehische Liebe, liebt man Menschen, so heißt es eine Menschenliebe, liebt man Gott, so heißt es eine göttliche Liebe. Also kann der Mensch verwandelt werden durch die Liebe in ein edles und unedles Ding von ihm selbst und freiwillig.“ (Johann Arndt)

 

„Ohne Liebe zu Gott gibt es kein Verlangen nach dem ewigen Leben, wie also wird der jenes höchsten Gutes teilhaftig sein, der es nicht liebt, nicht sucht, nicht verlangt? Wie deine Liebe so bist du selbst, denn deine Liebe gestaltet dich um in ihr Wesen. Die Liebe ist das höchste Band, denn der Liebende und die geliebte Sache werden Eins. Was hat den gerechtesten Gott und die verlorenen Sünder, was hat dies bis in’s Unendliche von einander entfernte verbunden? Die unendliche Liebe. Damit jedoch die Gerechtigkeit Gottes nicht gemindert würde, ist der unendliche Preis Christi zwischen eingekommen. Was verbindet noch Gott, den Schöpfer und die geschaffene gläubige Seele, die unendlich von einander entfernt sind? Die Liebe. In dem ewigen Leben werden wir mit Gott im höchsten Grade vereiniget werden. Weshalb? Weil wir im höchsten Grade lieben werden. Die Liebe eint und gestaltet um; wenn du das, was des Fleisches ist, liebst, so bist du fleischlich; wenn du die Welt liebst, so wirst du weltlich gesinnet werden. Aber Fleisch und Blut werden das Reich Gottes nicht ererben 1 Kor. 15,50. Wenn du Gott und das Göttliche liebst, so wirst du göttlich gesinnt werden. Die Liebe Gottes ist der Wagen, auf dem Elias in den Himmel fährt. Die Liebe Gottes ist die Freude des Geistes, das Paradies der Seele, macht los von der Welt, überwindet den Teufel, verschließt die Hölle, öffnet den Himmel. Die Liebe Gottes ist das Siegel, mit dem Gott die Auserwählten und Gläubigen versiegelt.“ (Johann Gerhard)

 

„Worinnen bestehet die Liebe Gottes? Dass wir hoch von ihm halten, unsere Freude und einig Vergnügen an ihm haben, ihm zu gefallen und immer näher mit ihm vereiniget zu werden trachten, und daher uns allezeit seinen Willen gefallen lassen.“ (Philipp J. Spener)

 

„Des Menschen Herz ist also von Gott geschaffen, dass es ohne Liebe nicht leben kann; es muss etwas lieben, es sei Gott oder die Welt, oder sich selbsten. Dieweil nun der Mensch etwas lieben muss, so soll er das Allerbeste lieb haben, welches ist Gott selbst, und soll diesen Affekt, welchen Gott in das Herz gepflanzt, und durch den heiligen Geist angezündet hat, Gott wieder geben, und bitten, dass er seine Liebe in ihm je mehr und mehr anzünde. Denn Gott liebt dich zuerst, und entzündet deine Liebe mit seiner Liebe; liebest du ihn aber wieder, so wirst du von ihm geliebt werden.“ (Johann Arndt)

 

„Und solltest du all das vergessen, was hier gesagt wurde, so behalte nur die beiden kleinen Punkte, und du wirst zum inneren Leben gelangen. Erstens: Sei ganz und gar klein, inwendig und nach außen bis in den Grund, nicht nur deinen Worten nach und deinem Aussehen, sondern in Wahrheit in all deinem Verstehen. Sei ein Nichts in deinem Grunde und in deinen Augen, ohne jegliche beschönigende Auslegung. Zweitens: Habe eine wahre Liebe zu Gott, nicht das, was wir nach Art der Sinne Liebe nennen, sondern in wesentlicher Weise, ein allerinnigstes Gottlieben. Diese Liebe ist nicht dieses einfache äußere und sinnenhafte Gottlieben, das was man so gewöhnlich unter Gott im Sinn zu haben versteht, sondern ein anschauendes Lieben mit dem Gemüt, ein strebendes Lieben, wie einer es besitzt, dem als Wettläufer oder als Schütze ein Ziel vorschwebt.“ (Johannes Tauler)

 

„Es ist etwas Großes um die Liebe. Es verliert, was er lebt, wer nicht liebt. Wo die Liebe eintritt, da gewinnt sie alle anderen Empfindungen und nimmt sie gefangen. Die Liebe genügt und gefällt um ihrer selbst willen, sie ist Verdienst und Lohn, Same und Frucht zu gleicher Zeit. Die Liebe macht aus zweien einen Geist, bewirkt, dass sie dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen. Die Gott liebende Seele wird von Sehnsucht getragen und gehoben, sie schwingt und stiehlt sich gleichsam aus dem Körper heraus, wenn sie seine unaussprechliche Güte kostet. Die Liebe vergisst Ansehen und Würde, und weiß nichts von Verdiensten. Die Liebe gibt Vertrautheit mit Gott, die Vertrautheit Kühnheit, die Kühnheit Genuss, der Genuss Verlangen. Die Liebe weckt die Seele aus dem Schlafe, mahnt und erweicht sie und verwundet das Herz. Die Liebe erhellt das Dunkle, öffnet das Verschlossene, erwärmt das Kalte, besänftigt den rauen, zornbegierigen und ungeduldigen Sinn, vertreibt die Laster, unterdrückt fleischliches Gelüst, bessert die Sitten. Das alles tut die Liebe, wann sie da ist; weicht sie aber, so wird die Seele lau und schlaff, gleich als wenn man einem kochenden Geschirr das Feuer entzieht.“ 

Manuale (Augustini) 

 

„Nicht um Nutzen oder Gaben, nicht um Gesellschaft oder Vermögen sollst du deinen Nächsten lieben, wie die Juden und Heiden auch tun; sondern in Gott sollst du ihn ansehen, sollst bedenken, dass er von Gott geschaffen und nach ihm gebildet ist, dass er mit dir durch das schmerzliche Leiden und den bitteren Tod Christi erlöst ist, und dass er mit dir auch das ewige Leben erlangen und besitzen soll. Liebst du so deinen Nächsten als dein Mitgeschöpf, als deinen Miterlösten und als deinen Miterben, dann erst hast du ihn lieb in christlicher Liebe.“ 

Geiler (+1510)