GLAUBE UND EGOISMUS

 

In Röm 9,3 trauert Paulus um Israel und sagt: „Ich selber wünschte, verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch…“.

Martin Luther sagt dazu:

„Diese Worte kommen denen wunderlich, ja töricht vor, die sich heilig dünken und Gott mit der Liebe sündlicher Begier lieben, d. h. um ihres Heiles und um der ewigen Ruhe willen oder um der Hölle zu entgehen, d. h. nicht um Gottes, sondern um ihrer selbst willen. Sie schwätzen davon, dass die „geordnete“ Liebe bei sich selbst anhebe, und jeder müsse zunächst sich selbst das Heil wünschen, hernach wie sich so auch dem Nächsten. So denken sie, weil sie nicht wissen, was das heißt: selig und erlöst sein; es sei denn, sie verstehen darunter ein vergnügliches Dasein führen und es sich gut gehen lassen, wie es sich ihre Phantasie ausmalt, wo doch „Seligsein“ heißt: den Willen Gottes und seinen Ruhm in allen Dingen wollen und nichts eigenes wünschen weder hier noch im zukünftigen Leben. Für die aber, die Gott wahrhaft lieben mit der Liebe eines Kindes und Freundes, die nicht von Natur da ist, sondern allein vom Heiligen Geist kommt, sind diese Worte wunderschön und Zeugnisse eines Vorbildes von vollkommener Art. Solche schicken sich freiwillig in jeglichen Willen Gottes, auch in die Hölle und den ewigen Tod, wenn es Gott so will, dass sein Wille völlig geschehe; so sehr suchen sie nichts von dem, was das Ihre ist. Doch so, wie sie sich selbst dem Willen Gottes so ohne Vorbehalt gleichförmig machen, so ist’s unmöglich, dass sie in der Hölle bleiben. Denn es ist unmöglich, dass außerhalb von Gott bleibt, wer sich dem Willen Gottes so völlig hingibt. Er will, was Gott will, also gefällt er Gott; gefällt er ihm, so ist er geliebt; ist er geliebt, so ist er selig. Aber man kann fragen, ob es Gott jemals gewollt hat oder will, dass sich ein Mensch in die Hölle schickt und der Verdammnis ausliefert oder in das Verbanntsein von Christus weg im Einklang mit Gottes Willen. Ich antworte: Bei den allermeisten will er’s und vor allem bei denen, die in der Liebe oder in der reinen Hingabe an Gott noch unvollkommen sind. Denn bei ihnen muss die sündliche Eigenliebe, die sich so tief eingenistet hat, notwendigerweise ausgerottet werden. Sie wird aber nur ertötet durch eine überschwenglich reiche Eingießung der Gnade oder durch solche rücksichtsloseste Selbstaufopferung.“ (Martin Luther)