Manchmal wird behauptet, es käme beim Glauben vor allem auf die Hingabe an, während der geglaubte Inhalt nicht so wichtig sei. Aber kann man sich von Herzen hingeben, ohne zu wissen an wen? Kann man rückhaltlos vertrauen, ohne zu wissen auf was? Das ist unmöglich, denn so wenig wie ein Verliebter kann der Gläubige seine Ergriffenheit trennen von dem, was ihn ergriffen hat. Wir fürchten, vertrauen und lieben Gott, weil er ist, wie er ist. Wäre er aber anders (oder hätten wir keine Ahnung wie er ist), wäre das unmöglich, denn der Glauben ist lediglich ein Reflex, der widerspiegelt, wie Gott uns in seiner Offenbarung gegenübertritt.

Glaubensakt und Glaubensinhalt

 

Sind sie schon mal erschrocken, weil jemand, den sie bisher für klug hielten, etwas schrecklich Dummes sagt? Mir ging das so mit Goethe. Wenn ich auch sonst kein Fan bin, traute ich ihm doch viel Tiefsinn zu, bis ich in „Dichtung und Wahrheit“ folgenden Unsinn las. Goethe sagt, beim Glauben „komme alles darauf an, dass man glaube; was man glaube, sei völlig gleichgültig.“ Mit dem Wissen hingegen, sei es gerade das Gegenteil, „es komme gar nicht darauf an, dass man wisse, sondern was man wisse, wie gut und wie viel man wisse.“ (Dichtung und Wahrheit, 3. u. 4. Teil, 5. Kap.). Als Leser wundert man sich über diese seltsame Gegenüberstellung. Aber auch beim mehrfachen Lesen wird der Sinn kein anderer: Der Dichterfürst behauptet, nur beim Wissen käme es auf den Inhalt an, beim Glauben dagegen gar nicht auf den Inhalt, sondern nur auf den Glaubensakt als solchen, auf den inneren Vollzug, dass man nämlich überhaupt etwas glaubt, und dies von Herzen, intensiv und vertrauensvoll. Das ist nun schrecklich falsch und man muss es damit entschuldigen, dass einer, der so viel schreibt wie Goethe, notwendig auch mal etwas Blödes schreibt. Nur kann man es deswegen nicht auf sich beruhen lassen, weil Goethes Ansicht noch heute von vielen Zeitgenossen vertreten und als „Weisheit“ ausgegeben wird. Sie trennen den emotionale Vollzug des Glaubens von den Glaubens-wahrheiten, auf die er sich richtet, und bauen damit eine schiefe Alternative auf. Sie polemisieren gegen „Dogmatik“ und „toten Rechtgläubigkeit“. Sie verachten das „Gezänk“ der Theologen, die sich um die wahre Lehre streiten. Sie betonen, dass auch die korrekteste Glaubenslehre nichts nützt, wenn man mit dem Herzen nicht dabei ist. Und sie rühmen an ihrer eigenen, gefühlsbetonten Religiosität, dass sie sich von vornherein nicht auf Lehrsätze oder Bekenntnisse festlegten, dafür aber umso lebendiger und hingebungsvoller glaubten. Diese Leute meinen – wie Goethe –, es käme allein auf die Intensität des Glaubens an. Woran aber, was und an wen man glaubt, sei zweitrangig, jede Religion habe andere Begriffe dafür, und ein Streit um diese Worte sei überflüssig. Hauptsache, man ist tief ergriffen! Wovon man ergriffen ist, das entziehe sich der Beschreibung, es sei bei jedem verschieden und auch gar nicht so wichtig. Nun ist diese Sichtweise sehr modern und praktisch, weil man sich damit „spirituell“ und „religiös“ geben kann, und sich doch auf den verwirrenden Streit der vielen Glaubensrichtungen nicht einlassen muss. Die Wahrheit des Glaubens wird ins subjektive Gefühl und die Innerlichkeit verlegt, man belächelt die Theologen wegen ihrer Rechthaberei und verkündet stolz, man selbst sei über den Zwist der Religionen und Konfessionen „hinausgewachsen“ in eine „universelle Offenheit“. Aber lässt sich diese Position halten? Ist sie „christlich“ im Sinne Jesu Christi? Und gibt es wirklich einen starken Glauben, der sich über seinen Inhalt nicht im Klaren ist? Kann man sich von Herzen hingeben, ohne zu wissen an wen? Kann man rückhaltlos vertrauen, ohne zu wissen auf was? Beruht die Intensität des Glaubens nicht auf seinem Inhalt? Und wenn sich das so verhält: Ist es dann nicht irreführend, das eine gegen das andere auszuspielen? Dass man den inneren Vollzug des Glaubens vom äußeren Gegenstand des Glaubens unterscheiden kann, bleibt unbestritten und ist der christlichen Theologie ganz geläufig: Der Gegenstand und Inhalt des Glaubens ist der dreieinige Gott, wie ihn das Glaubensbekenntnis beschreibt. Der Vollzug des Glaubens hingegen besteht in der Ehrfurcht, in dem Vertrauen und der Liebe, die wir Gott entgegenbringen. Was wir inhaltlich glauben und bekennen, das ist der Glaube, welcher geglaubt wird (lat.: fides quae). Unser darauf gerichtetes Vertrauen hingegen ist der Glaube, mit welchem wir glauben (lat.: fides qua). Das eine ist der Gegenstand und Sachgehalt des Glaubens, das andere der Glaubensakt als innere Bewegung von Herz und Gemüt. Es ist sinnvoll, das zu unterscheiden. Aber es heißt noch lange nicht, dass man eins vom anderen trennen dürfte! Denn die kraftvollste innere Bewegung nützt nichts, wenn sie sich auf kein klares Ziel richtet. Und das klarste Ziel bleibt ewig unerreicht, wenn die Kraft zur inneren Bewegung fehlt. Glaubensvollzug und Glaubensinhalt gehören unbedingt zusammen, denn so entspricht es der Absicht Gottes, der sich uns genau zum dem Zweck offenbart, um Menschen beides möglich zu machen. Durch die Offenbarung und Erschließung seiner selbst in der Person Jesu schenkt uns Gott eine neue Qualität von Gotteserkenntnis. Diese Gotteserkenntnis aber sollen wir nicht etwa kalt „zur Kenntnis nehmen“ und als „totes Wissen“ verbuchen, sondern sie soll Folgen haben, indem sie uns innerlich berührt und verändert, und so das Beziehungs-geschehen unseres Glaubens auslöst. Denn wozu sonst tritt Gott aus seiner Verborgenheit heraus? Warum wird er Mensch, kommt uns in Christus nah und öffnet durch den Heiligen Geist unsere Augen? Gott tut das doch, damit wir ihn kennenlernen in seiner überwältigenden Strenge und Güte, damit wir uns unter diesem Eindruck wandeln, damit unsere verhärteten Herzen weich werden, das Misstrauen daraus schwindet, und wir heilvoll zu Gott in Beziehung treten. Gott offenbart dazu nicht irgendwas, er offenbart sich selbst! Er zeigt uns in Christus sein wahres Gesicht, damit wir wissen, mit wem wir es zu tun haben. Und Glaube ist in diesem ersten Schritt erstmal Erkenntnis und Wahrnehmung. Das Evangelium stellt uns Gott vor Augen, wie wir ihn vorher nicht kannten, und der Glaube begreift, wer ihm da in Christus so überraschend begegnet. Doch ist das keine trockene Information, die wir ungerührt zur Kenntnis nehmen, als hätten wir bloß etwas gelernt, sondern es ist der Beginn einer neuen, hingebungsvollen, gesunden und intensiven Beziehung. Denn Gottes Wort fordert unsere Antwort heraus. Seine Strenge will uns heilvoll erschrecken. Und seine Liebe will Gegenliebe hervorrufen. Man kann Gott nicht kennenlernen, ohne dadurch ein anderer Mensch zu werden! Darum stimmt zwar der Satz, aus dem Goethe und seine Geistesverwandten dann falsche Folgerungen ziehen: Der Glaube geht tatsächlich nicht in Lehrsätzen auf – er ist eine innere Bewegung, die uns in jeder Faser erfasst! Aber diese Leute vergessen, dass die innere Bewegung von dem Sachgehalt herrührt, den unsere Glaubenssätze beschreiben, und ohne diesen äußeren Impuls nicht möglich wäre. Ohne das äußere Wort und die darin gefasste geschichtliche Offenbarung Gottes, die gepredigt und verstanden wird, hätte unsere Glaubensbewegung weder Grund noch Ziel. Gott will von uns erkannt werden! Und ohne Einsicht in die Offenbarung des Neuen Testaments wird das nicht gelingen. Doch will Gott noch mehr! Durch sein Wort und seinen Geist will er uns an dem, was das Wort erkennen lässt, auch Anteil geben – nämlich an dem Heil, das in Christus begegnet. Und wenn wir erst daran Anteil haben, macht uns das zu neuen Menschen. Gott konfrontiert uns mit seiner Wahrheit, damit sich verstockte Sünder in Freunde verwandeln. Und vorher hat die Offenbarung ihr Ziel noch nicht erreicht. Denn die äußere Erkenntnis mit dem Verstand wäre nicht genug, wenn die innere Bewegung mit dem Herzen nicht folgte. Diese innere Bewegung aber käme ohne den äußeren Impuls gar nicht zustande, weshalb beide Aspekte des Glaubens einander brauchen und zusammengehören… Wenn ihnen das abstrakt und schwierig vorkommt, können Sie es sich an einer ganz alltäglichen Szene verdeutlichen: Stellen sie sich bitte einen Jungen vor, der auf der Straße zufällig einem Mädchen begegnet und sich spontan in sie verliebt. Und machen sie sich klar, was da in welcher Reihenfolge geschieht. Denn dieser Junge ist ja nicht morgens aufgestanden und fühlte sich verliebt, um dann loszugehen und für das vorhandene Gefühl ein passendes Mädchen zu suchen. Nein – er ist nicht erst verliebt, ohne noch zu wissen in wen, und sucht für seine Liebe erst nachträglich einen Gegenstand, sondern umgekehrt: Er trifft das Mädchen, sieht sie an und wird von dem starken Gefühl überfallen, das er nicht gerufen hat und das ohne diese Begegnung auch nicht über ihn gekommen wäre. Denn der Auslöser ist ja das Mädchen! In der Begegnung nimmt er ihre Gestalt wahr, sieht ihre Bewegungen und ihr Lächeln, hört ihre Stimme – und eben diese Wahrnehmungen sind es, die ihn nicht kalt lassen, sondern in ihm einen Sturm der Gefühle auslösen. Wäre es da nicht Unsinn anzunehmen, die Wahrnehmung des Mädchens sei überflüssig gewesen, und der Junge könnte ohne Begegnung, ohne konkretes Gegenüber und ohne das Bild des Mädchens genauso lieben? Kennen wir etwa gegenstandslose Liebe, die kein Ziel hätte und keinen Anlass, sondern die einfach so willkürlich da wäre? Nein! Der Junge liebt gewiss nicht ohne das innere Bild des Mädchens, dass er sich nun Tag und Nacht in Erinnerung ruft. Er kann sich daran nicht sattsehen, denn seine Gefühlswallungen haben genau in diesem Bild ihren Ursprung. Würden wir ihn fragen, woher sein Gemütszustand kommt, könnte er darauf nur mit einer schwärmenden Beschreibung des Mädchens antworten. Und wenn wir ihn aufforderten, für einen Moment doch mal das Mädchen zu vergessen, und abstrakt nur von der Liebe „an sich“ zu reden, würde er uns verständnislos anschauen und verstummen. Denn der Verliebte kann das Gefühl der Liebe unmöglich trennen von dem Gegenstand, der dieses Gefühl in ihm auslöst. Er hat das eine nie ohne das andere! Und mit dem Glauben ist es genauso. Auch der Glaube ist nicht zuerst da, wie ein dumpfes Gefühl, mit dem man morgens aufwacht, um dann nachträglich einen Gegenstand zu suchen, auf den sich das Gefühl beziehen könnte, sondern der Glaube geht von der Offenbarung Gottes aus, an der sich das Feuer des Glaubens erstmals (und dann immer wieder) entzündet. Wohl hat der Mensch die Veranlagung, glauben zu können, wie ein junger Mann die Anlage mitbringt, sich verlieben zu können. Aber ohne geeigneten Gegenstand würde nie etwas daraus und es bliebe Theorie. Denn wie die Verliebtheit, braucht auch der Glaube ein Gegenüber, auf das er sich richtet. Und wenn man einen Christen nach dem Grund seines Glaubens fragt, macht er es darum genau wie jener Verliebte und beginnt begeistert von seinem Gott zu erzählen, der ihm so und so begegnet ist. Wenn wir ihn aufforderten, für einen Moment mal Gott beiseite zu lassen und abstrakt nur vom Glauben „an sich“ zu reden, würde er uns verständnislos anschauen und verstummen. Denn so wenig wie der Verliebte, kann der Gläubige seine Ergriffenheit trennen von dem, was ihn ergriffen hat! Der Glaubensvollzug hat seinen Grund in nichts anderem als im Glaubensinhalt. Der offenbarte Glaubensinhalt aber hätte seine Wirkung verfehlt, wenn daraus kein Glaubensvollzug erwüchse. Man kann Gott nicht fürchten, lieben und vertrauen, wenn man ihn nicht kennt. Wenn man ihn aber nur kennen würde, ohne zu lieben und zu vertrauen, so wäre damit wenig gewonnen, und die trockene Kenntnis (das Katechismuswissen allein) würde uns gewiss nicht retten. So tut also beides not, es hängt unmittelbar zusammen, und wir ersehen daraus, wie falsch Goethe gelegen hat. Wie sagte er noch? Beim Glauben käme es nur darauf an, dass man glaubt und feste glaubt, was, woran und an wen man glaubt, sei nicht so wichtig? Das ist großer Unfug, und davon, dass es bis in die Gegenwart nachgeplappert wird, wird es nicht besser. Denn christlicher Glaube ist keine diffuse Schwärmerei, sondern so wie es sich zwischen konkreten Menschen verhält, so ist es auch in der Gottesbeziehung des Christen: Wir bringen Gott Ehrfurcht entgegen, weil wir erkennen, dass er Ehrfurcht verdient, und Vertrauen, weil er Vertrauen verdient. Wenn wir aber nicht aus dem Evangelium wüssten, mit wem wir es zu tun haben, wäre die emotionale Beziehung völlig unmöglich. Wir fürchten, vertrauen und lieben Gott, weil er ist, wie er ist. Wäre er aber anders – oder hätten wir keine Ahnung wie er ist –, was sollte uns dann bewegen, eine vertrauensvolle Beziehung einzugehen? Glaube ist kein dumpfer Drang, der aus unbewusster Tiefe quillt, ohne sich selbst und sein Gegenüber zu verstehen! Sondern Glaube ist der sinnvolle Reflex, den die Begegnung mit Gott auslöst, und der zu seiner Begründung auf eben diese Begegnung verweist. Fürchte ich einen Menschen, dann weil er mir furchterregend begegnet ist. Respektiere ich ihn, dann weil er mir Respekt einflößt. Und vertraue ich ihm, dann weil er mein Vertrauen gewonnen hat. Die innere Bewegung ist in all diesen Fällen bloß ein Reflex, der widerspiegelt, wie mir der andere gegenübertrat. Der Ursprung meines Gefühls liegt nicht innen bei mir, sondern außen bei dem Anderen! Und so ist auch christlicher Glaube keine Naturanlage, die immer schon da wäre, sondern er wird uns von dem, der sein Gegenstand ist, eingeflößt und abgewonnen. Unser Glaube geht auf einen äußeren Impuls zurück, den wir konkret beschreiben können, nämlich auf die Offenbarung Gottes im Neuen Testament. Und er stützt sich darum auch nicht auf religiöse Stimmungen, sondern auf das biblische Wort, in dem Gott uns begegnet. Unser Vertrauen wird von Gott selbst geweckt, so wie Ehrfurcht und Liebe auch, und ohne Gott zu kennen (in Christus und durch den Heiligen Geist) fühlten wir von alledem nichts. Darum: Hüten wir uns vor den alten und neuen Schwärmern, die von ihren vermeintlich frommen Gefühlen so besoffen sind, dass sie meinen, das biblische Wort nicht mehr nötig zu haben. Und wenn jemand behauptet, seine Religion bräuchte kein Bekenntnis, er sei vor lauter Innerlichkeit über alle Konfessionen hinausgewachsen, und alle Theologie sei nur Streit um Worte, dann fallen sie bitte nicht darauf herein. Denn christlicher Glaube ist nicht Verstand ohne Gefühl und er ist nicht Gefühl ohne Verstand. Er ist nicht Bewegung ohne Inhalt und nicht Inhalt ohne Bewegung, sondern ist beides. Denn als Christen haben wir einen Gott, der verstanden werden will und – in den von ihm selbst gesetzten Grenzen – auch verstanden werden kann. Wir hören seinen Ruf und antworten gleichermaßen mit Herz und Verstand. Wer uns da aber ruft und wohin er ruft, das ist beileibe nicht egal und bleibt auch nicht in mystischem Dunkel, sondern von der Klarheit in diesem Punkt hängt alles ab!