ERLÖSUNG

 

„Gott hat unsere Sünden nicht auf uns gelegt, sondern auf seinen Sohn Christum, damit wir, indem die Strafe auf ihm läge, Frieden hätten, und wir durch seine Wunden geheilt würden (Jes. 53,5.). Darum können sie nicht durch uns hinweggenommen werden, und das bezeugt die ganze Schrift, und wir bekennen und beten es auch im christlichen Glauben, da wir sprechen: Ich glaube an Jesum Christum, Gottes Sohn, der für uns gelitten hat, gekreuzigt und gestorben ist. Hieraus ist offenbar, dass die Lehre des Evangelii, die allerlieblichste Lehre und die so überaus voll ist des reichsten Trostes, nicht predige von unseren oder des Gesetzes Werken, sondern von der unbegreiflichen und unaussprechlichen Barmherzigkeit und Liebe Gottes gegen uns unwürdige und verlorene Menschen, nämlich, dass der barmherzige Vater, da er sah, dass wir durch den Fluch des Gesetzes unterdrückt und so darunter gehalten würden, dass wir uns selbst mit unseren Kräften niemals daraus hätten befreien können, seinen eingebornen Sohn in die Welt gesandt und alle Sünden aller Menschen auf ihn gelegt habe und gesagt: Du sollst Petrus sein, der da verleugnet hat; Paulus, der da verfolgt, gelästert und Gewalt geübt hat; David, der die Ehe gebrochen hat; der Sünder, der den Apfel im Paradiese gegessen hat; der Schächer am Kreuze: kurz, du sollst die Person sein, die alle Sünden aller Menschen getan hat; gedenke also, dass du bezahlest und für sie genugtuest. Da kommt das Gesetz und spricht: Ich finde ihn als einen Sünder, und zwar einen solchen, der die Sünden aller Menschen auf sich genommen hat, und ich sehe außerdem keine Sünde als allein auf ihn, darum soll er am Kreuze sterben; und so greift es ihn an und tötet ihn. Da dies geschehen ist, ist die ganze Welt von allen Sünden gereinigt und gesühnt, also auch befreit vom Tode und von allem Übel. Nachdem nun aber Sünde und Tod durch diesen Einen Menschen hinweggenommen sind, so könnte doch Gott in der ganzen Welt, zumal wenn sie glaubte, nichts Anderes mehr sehen als lauter Reinheit und Gerechtigkeit, und wenngleich noch etliche Überbleibsel der Sünde blieben, so würde doch Gott sie nicht sehen vor jener Sonne, Christo.“ (Martin Luther) 

 

„Gott selbst hat mit seinem Blute das menschliche Geschlecht erlöst Ap. Gesch. 20,28. Wer kann die Größe dieses Geheimnisses fassen? Der höchste Schöpfer war beleidigt, und das Geschöpf machte sich keine Sorge über die Herstellung des Friedens und über die Versöhnung. Derselbe, der beleidiget war, nimmt das Fleisch des Geschöpfes an und wird der Versöhner. Der Mensch hatte Gott verlassen, und zu dem Feinde Gottes, dem Teufel sich gewendet; aber derselbe, der verlassen war, sucht bekümmert den, der ihn verlassen hat, und ladet ihn auf das Freundlichste wieder zu sich ein. Der Mensch war von jenem unendlichen Gute gewichen und hatte sich in das unendliche Übel gestürzt, aber eben jenes unendliche Gut gibt einen unendlichen Erlösungspreis und befreit das Geschöpf von jenem unendlichen Übel. Übersteigt nicht diese unendliche Barmherzigkeit allen endlichen Verstand und Gedanken des Menschen?“ (Johann Gerhard) 

 

„O ewiger und allmächtiger Gott, ich bin dir den größten Dank schuldig, dass du mich erschaffen hast, da ich nichts war; aber noch weit größern, dass du mich erlöset hast, da ich verloren und verdammt war! Ich lag in der Hölle Rachen; du hast mich durch das Blut deines Sohnes herausgezogen. Ich war ein Eigentum Satans; aber deine Gnade hat mich aus dem Reich des Teufels erlöst, und in das Reich Christi versetzt. Ich bin mich ganz dir schuldig, denn du hast mich ganz gebildet. Meine Zunge soll dich beständig loben, weil du sie mir gegeben hast. Mein Mund soll immerdar dein Lob verkündigen, weil er von dir Luft und Odem holt. Mein Herz soll mit beständiger Liebe dir anhangen, weil du es gebildet hast. Alle Glieder sollen zu deinem Dienste bereit sein, weil du sie alle, wie viel und wie groß sie auch sind, wunderbar bereitet hast. Wenn ich schon zuvor mich ganz dir schuldig bin, weil du mich ganz gemacht hast, was wird’s sein, das ich dir für die Erlösung aus meiner Knechtschaft und Gefangenschaft vergelten könnte? Das verlorne Schäflein hast du den Krallen des höllischen Wolfes entrissen; den entflohenen Knecht hast du aus dem Kerker des Teufels gezogen; den verlornen Groschen hast du ängstlich gesucht. In Adam bin ich gefallen, du hast mich aufgerichtet; in Adam bin ich mit Banden der Sünde gefangen worden, du hast mich von ihnen erlöst; in Adam bin ich verloren worden, du hast mich wieder erretten wollen. Wer bin ich armer Wurm, dass du für meine Erlösung so besorgt, und zu meinem Heile so wunderbar freigebig sein wolltest? Wenn du die ersten Menschen, unsere Stammeltern, nach dem Falle ganz von dir verworfen, und sie zugleich mit allen ihren Nachkommen von dem Anblick deiner Herrlichkeit entfernt und bis in die unterste Tiefe der Hölle hinabgestürzt hättest, so könnte sich niemand von uns mit Recht beklagen, dass ihm Unrecht geschehen wäre; denn sie und auch wir hätten empfangen, was unsere Taten wert sind. Was konnten wir weiter von dir fordern oder erwarten, der du uns zu deinem Bilde geschaffen, und mit Kräften versehen hattest, die zur Bewahrung der Unschuld ausreichten? Aber nun erzeigest du deine unbegreifliche und unaussprechliche Liebe gegen uns, dass du deinen Sohn den ersten Eltern nach dem Fall als Erlöser versprichst, und denselben in der Fülle der Zeit uns sendest, und durch ihn aus dem Tode zum Leben, aus den Sünden zur Gerechtigkeit, aus der Hölle zur himmlischen Herrlichkeit uns zurückrufst. O Liebhaber der Menschen, der seine Lust bei den Menschenkindern hat, wer kann diese Menschenliebe würdig preisen? ja, wer kann sie würdig genug mit dem Verstande erfassen? Das ist der unbegreifliche Reichtum deiner Güte, das ist der unermessliche Schatz deiner Güter, den unsere Armut oder Einsicht nicht fasst. War der Knecht so wert, dass der Sohn zu seiner Erlösung in den Tod gegeben werden musste? War der Feind so zu lieben, dass du ihm den geliebtesten Sohn zum Erlöser bestimmt hast? Meine Seele staunt, wenn sie diese Wohltat erwägt, und wird ganz hingenommen und zerfließet in Liebe zu dir! Amen.“ (Johann Gerhard)

 

„Blind war die Menschheit geworden und hatte beide Augen, den Sinn für das Gesetz und den Sinn für die Erkenntnis Gottes verloren; taub war sie geworden, denn sie hörte nicht auf Gottes Stimme; lahm, denn sie konnte den Weg des Glaubens und der Tugend nicht gehen, stumm, denn Satan hatte ihren Mund verschlossen. Sie dachte nicht mehr an Gott und lobte ihn nicht mehr. Und was singt, was redet doch einer, der Zions Lied, das neue Lied nicht anstimmt? Da aber Immanuel kam, hat er den Nebel der Sünde und Unwissenheit, der sich über den Weltkreis gelagert hatte, zerteilt, hat die Augen der Blinden und die Ohren der Tauben geöffnet, hat den Lahmen zu einem geistlichen Aufschwung verholfen, nämlich vom Laster zur Tugend, von der Erde zum Himmel; hat die Zungen der Stummen zum Lobe Gottes gelöst. Er ist gekommen, und kommt noch immerfort bis ans Ende der Tage, denn sein Reich ist ein ewiges Reich.“ 

Hildebert (+1134)