Gott begegnet uns nicht nur in Jesus Christus, aber er begegnet uns nur in Jesus Christus so, dass wir ihn begreifen können. Denn Gottes Offenbarung in Natur und Geschichte ist so zweideutig, dass wir aus ihr nicht entnehmen können, ob Gott zuletzt unser Freund oder unser Feind sein will. Erst in Christus - und nur in Christus - wird Gottes Heilswille eindeutig erkennbar und greifbar, so dass Christen sagen: Einen anderen Gott als den Menschgewordenen kennen, wollen und verehren wir nicht.  

Gottes Verborgenheit, Offenbarung und Menschwerdung

Warum soll Jesus so wichtig sein?


Jesus Christus ist die Mitte des Glaubens, der Schlüssel aller Erkenntnis, der Weg zum Heil und die zentrale Offenbarung Gottes. Martin Luther hat das in geradezu schroffen Worten zum Ausdruck gebracht, als er sagte: „Ich kenne noch verehre keinen andern Gott, als den Menschgewordenen, außer diesem will ich keinen andern haben, denn es gibt keinen andern, der retten kann.“ Doch so selbstverständlich wie für Luther ist die zentrale Stellung Jesu Christi nicht für jeden. Und in unserer kulturell veränderten Gesellschaft werden die Einwände immer lauter: Ist Gott nicht noch viel mehr als bloß dieser Jesus von Nazareth? Ist er nicht auch der Schöpfer, der den Kosmos werden ließ? Ist er nicht auch der Gesetzgeber, der am Sinai seine Gebote gab? Ist er nicht auch der Heilige Geist, der weht, wo er will? Ist es nicht die Hauptsache, dass man überhaupt an Gott glaubt? Warum muss es gerade dieser sein, der in Christus Mensch wurde? Schließlich wird Gott auch in anderen Religionen verehrt, die ohne Jesus auskommen. Es gibt doch auch Buddha und Konfuzius, Mohammed und den Dalai Lama. Das sind doch auch alles fromme Leute. Warum also ist Luther so engstirnig? Warum will er ausschließlich mit dem Gott zu tun haben, der Mensch wurde? Mancher würde Luther empfehlen, seinen Horizont zu erweitern und Christus mal beiseite zu lassen! Würde das nicht gehen? Machen wir ruhig einmal dieses gedankliche Experiment. Nehmen wir an, Gott wäre nicht in Jesus Christus Mensch geworden. Denken wir uns alles weg, was das Neue Testament berichtet, und versetzen wir uns in die Lage eines Menschen, der von Christus nie etwas gehört hat. Was wüssten wir dann von Gott? Zum Ersten wüssten wir, dass Gott Himmel und Erde geschaffen hat. Denn das wissen auch viele nichtchristliche Religionen. Gott lässt in der Natur die Dinge wachsen und wieder verdorren, er lässt die Sonne auf und wieder untergehen, er macht Sommer und er macht Winter, er lässt Völker zu großer Macht kommen und wieder untergehen. Gott erwählt und verwirft, er segnet und flucht, er macht reich und macht arm. Das wissen wir auch dann noch, wenn wir uns Christus wegdenken. Nur ist das ein ziemlich zwiespältiges Wissen. Gott schenkt uns das Leben. Und das ist freundlich von ihm. Aber er nimmt uns das Leben auch wieder. Früher oder später lässt er uns sterben. Und darin erscheint er eher feindlich. Ja, wie ist er denn nun wirklich – freundlich oder feindlich? Gott lässt uns die Schönheit der Natur und viel Freude erfahren. Das spricht wiederum für seine Freundlichkeit. Er schickt aber auch Schmerzen und manches übergroße Leid, als wäre er unser Feind. Mal scheint er uns zu segnen mit Freunden, mit Kindern, mit Erfolg und Wohlstand. Und das andere Mal scheint er uns verderben zu wollen, umgibt uns mit Gegnern und Neidern, nimmt uns die liebsten Menschen, lässt uns scheitern und verzweifeln. Was für einen Reim soll man sich darauf machen? Wie ist er denn nun wirklich: Freundlich oder feindlich? Auch wenn wir an Gottes Gebote denken, geraten wir in diesen Zwiespalt. Denn einerseits sind sie eine nützliche Gebrauchsanleitung für die Welt. Wenn wir uns daran halten, kommen wir mit unseren Mitmenschen gut aus. Andererseits aber drohen uns Strafen, weil wir Gottes Gebote immer wieder übertreten. So werden uns die Gebote, die wir eben noch nützlich fanden, zum Fallstrick. Sie brechen uns den Hals, weil wir an ihnen schuldig werden. Was also sollen wir denken? Ist dieser Gott, der Gebote gibt, Freund oder Feind? Die Natur, die Gott geschaffen hat, ist voller Herrlichkeit und voller Grausamkeit. Unser Schicksal, das er lenkt, ist eine süß-saure Mischung aus Höhen und Tiefen. Und die große Weltgeschichte zeigt sich randvoll mit Faszinierendem und auch mit Erbärmlichem. Wenn wir nun aber an Natur, Schicksal und Geschichte ablesen wollten, wie der Gott ist, der dahintersteht, und alles daran ist ambivalent und zweideutig – bleibt dann nicht auch Gott ambivalent und doppelgesichtig? Wir könnten nie wissen, wie er zu uns steht und was er mit uns vorhat. Und bei diesem Nicht-Wissen würde es bleiben, wie lange wir auch unser gedankliches Experiment fortsetzten. Denn solange wir ohne Jesus auszukommen versuchen, bleibt immer Zweideutigkeit. Wer von Christus nichts weiß, kommt nicht dahinter, wie Gott wirklich ist. Er sieht zwar, was Gott tut. Denn Gott begegnet überall. Aber er erschließt sich dabei nicht, sondern bleibt inmitten der Begegnung verborgen und unverständlich. Diese Unverständlichkeit muss uns Angst machen, denn der unbegreifliche Gott hat große Macht über uns. Selbst wenn wir versuchen gottlos zu leben, werden wir Gott nicht los. Er begegnet uns auf Schritt und Tritt. Wie sollen wir uns da verhalten? Uns fehlt die entscheidende Information. Wir wissen nicht, ob Gott es gut mit uns meint. Und das ist eine schreckliche Ungewissheit… Luther hat das natürlich gewusst. Anfangs wollten wir ihm eine Horizonterweiterung empfehlen. Aber er kannte das Ergebnis unseres Gedankenexperiments schon. Wenn man sich Jesus wegdenkt, wird der Horizont nicht weit, sondern dunkel und rätselhaft. Und genau deshalb sagt Luther jenen kompromisslosen Satz: „Ich kenne noch verehre keinen andern Gott, als den Menschgewordenen, außer diesem will ich keinen andern haben.“ Luther kann das sagen, weil durch Christus alles eindeutig wird, was vorher zweideutig war. In Christus (und nur in ihm!) nimmt Gott eine Gestalt an, die wir erfassen und verstehen können. Gott wird unseresgleichen und spricht die Sprache, die wir verstehen. Gott erklärt sich uns. Er tritt an unsere Seite und lässt uns nicht allein. Er begegnet uns so, dass wir erkennen, was er im Schilde führt. Denn Jesus Christus hat allen Menschen Gottes Barmherzigkeit verkündigt und hat am Ende den Beweis dieser Barmherzigkeit erbracht. Der menschgewordene Gott ging für uns ans Kreuz. Er ging durch die Hölle, damit wir es nicht müssen. Und eindeutiger geht’s nicht mehr. Denn wenn Gott das für uns tut, dann ist in seinem Herz die Liebe mächtiger als der Zorn. Da gibt’s kein Zweifeln mehr. Gott will unser Leben und nicht unseren Tod, sein letztes Wort ist Segen und nicht Fluch. Freilich: Auch wenn wir das wissen, erscheint uns Gottes Tun manchmal rätselhaft. Aber wir betrachten das Werk seiner Hände dann nicht mehr wie das Werk eines Fremden, sondern wie das Werk eines Freundes, von dem wir wissen, dass er Gutes im Schilde führt. Und das macht einen großen Unterschied. Denn wenn ich in einem Flugzeug sitze, ist mir ja auch nicht egal, wer der Pilot ist. Sitze ich in einem Boot, ist mir nicht egal, wer der Kapitän ist. Und sitze ich im Reisebus, ist mir nicht egal, wer ihn fährt. In all diesen Fällen ist es höchst unangenehm, wenn der, in dessen Händen mein Leben liegt, ein rätselhafter Fremder ist, der widersprüchlich handelt und dessen Absichten ich nicht kenne. Ist es aber ein guter Freund, dem ich vertraue, so bin ich beruhigt. In seinem Flugzeug, auf seinem Schiff, in seinem Reisebus fühle ich mich gut aufgehoben. Und mit Gott ist es nicht anders. Solange ich ihn nicht kenne befinde ich mich in der Hand eines rätselhaften Unbekannten. Habe ich ihn aber durch Jesus Christus kennen und ihm vertrauen gelernt, so weiß ich mich in der Hand eines liebevollen Vaters. Der Herr der Welt ist mein Freund, nicht mein Feind. Und das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Seien wir also froh, dass es nur ein gedankliches Experiment war, als wir uns Christus „wegdachten“. Denn unser Glaube kommt nicht ohne ihn aus: Glaube ist eine Beziehung zu Gott. Diese Beziehung kann man nur haben, wenn man Gott kennt. Und niemand kennt Gott wirklich, wenn er ihn nicht aus dem Neuen Testament kennt. Denn das einzig wahre Ebenbild Gottes auf Erden ist sein Sohn Jesus Christus. Und von dem wüssten wir nichts, wenn wir das Neue Testament nicht hätten. Wer da aber nicht hineinschaut – wie will der Gott verstehen? Wer aber Gott nicht versteht – wie will der eine Beziehung zu ihm haben? Wer zu Gott aber keine Beziehung hat – wie kann der gerettet werden? Weil das unmöglich ist, sollte man Gott suchen, wo er gefunden werden will. Hat man aber in Christus den Zugang gefunden, kann man sich Luthers Worten nur anschließen: „Wir kennen noch verehren keinen andern Gott, als den Menschgewordenen, außer diesem wollen wir keinen andern haben, denn es gibt keinen andern, der retten kann.“