VOLLMACHT

 

„Ein Amt aber, welches mit Unsicherheit und Zweifel ausgeübt wird, ist nicht Christi Amt, ist kein Amt zur Seligkeit, sondern ein Amt des Fluches und der Verdammnis, denn der Kern alles Fluches und aller Verdammnis ist die Ungewissheit und der Zweifel (…). Diener jener Theorien sind bei der sonst löblichsten christlichen Gesinnung und dem ernstesten menschlichen Willen allezeit in Ungewissheit ob sie in konkreten Fällen göttliche Drohungen auszusprechen und geltend zu machen hätten, ob sie Gottes Gerichte für besondere Zustände in der Gemeinde verkündigen dürften, ob sie den Beruf besäßen, die Gemeinde um sich zu sammeln, ob sie mit Erfolg segnen könnten, ob sie die Sündenvergebung mitzuteilen oder bloß zu verkündigen hätten u. s. w., und viele unter ihnen, welche an sich das Charisma der Gewalt über die Geister besitzen, werden durch diese Unsicherheit sogar in der Anwendung dieser Gabe geschwächt. Wenn sie nun aber Drohungen und Gerichte verkündigen, die Gemeinde rufen, Segen sprechen, absolvieren, und dies nur mit dem leisesten Gedanken daran tun, ob sie das Recht oder die Macht dazu haben, oder auch nur, woher sie ihr Recht und ihre Macht zu leiten haben, ob daher oder dorther, so sind diese Dinge fast allesamt unkräftig, gewiss aber allesamt, ohne Ausnahme, dem, der sie handhabt, zum Gericht – er fängt notwendig an, das Wort an die Stelle der Tat zusetzen, er fängt an Phrasen zu machen, er schreitet fort zur Heuchelei und endigt mit der Lüge. Wohl dem, welcher in Zeiten zurechtgesetzt und auf seinem Irrwege umgewendet wird, wie es einem sonst redlichen Zweifler meiner Bekanntschaft einst widerfuhr: er wurde als Geistlicher an das Todbett eines schweren Sünders gerufen, welcher in der Bekehrung begriffen war, und Vergebung der Sünden begehrte. Noch im Dienste der Theorie von dem Amte welches aus der Gemeinde komme, folglich auch der, dass er die Sündenvergebung nur zu verkündigen habe, befangen, begann er seine „Verkündigung“. Aber der Kranke rief ihm entgegen: „Die Verkündigung kenne ich längst, und ist mir von andern noch kürzlich oftmals vorgehalten worden; ich will nicht die Sünden mit allen andern Sünden vergeben haben, ich will meine Sünden vergeben haben; ich will wissen, ob Sie Recht und Macht haben, mir diese Sünden zu vergeben“. Damit, sagte er, seien ihm die Schuppen von den Augen gefallen, und er habe dasmal und seitdem allezeit die Vergebung der Sünden nicht verkündigt, sondern im Namen des Herrn Christi erteilt.“ (August F. C. Vilmar)