HÖREN

 

„Ich will hören, was der Herr, mein Herr, in mir spricht. (Ps. 85,9.) Selig die Seele, die den Herrn in sich reden hört, und aus seinem Munde des Trostes Worte empfängt. Selig die Ohren, welche das leise Wehen Gottes vernehmen und auf die Einflüsterungen dieser Welt nicht achten. Ja, ganz selig die Ohren, welche nicht auf die von außen kommende Stimme, sondern auf die im Innern lehrende Wahrheit hören. Selig die Augen, welche der Außenwelt verschlossen, für das Innere aber aufgetan sind. Selig, die in’s Innere dringen und sich durch tägliche Übungen mehr und mehr geschickt machen, die himmlischen Geheimnisse zu erfassen. Selig, welche sich Gott zu widmen begehren, und sich von jedem Hindernisse der Welt losreißen! Merke dies, meine Seele, und verschließe die Türe deiner Sinnlichkeit, dass du könnest hören, was in dir der Herr, dein Gott, rede.“ (Thomas von Kempen)

 

„Wenn Gott redet und sein Wort gibt, so gibt er’s reichlich, schüttet seinen Schatz überschwänglich aus, tut den Himmel weit auf, ruft und spricht: Alle gen Himmel, alle gen Himmel! Alsdann ist’s Zeit, dass man die Ohren auftue und höre. Wenn man aber sein Wort nicht hören will, so schweigt er stille, und nimmt sein Wort rein hinweg. So geht’s denn also: Haben wir Gott nicht wollen hören, da er mit uns redete, so mögen wir den Teufel hören, wenn Gott schweigt. Haben wir nicht gen Himmel wollen, weil er offen stand, so kann Gott den Himmel zuschließen, und die Hölle aufschließen; da mögen wir zusehen, wo wir bleiben (…). Jetzt schließt Gott auch den Himmel auf, und schließt die Hölle zu, schüttet sein Wort reichlich aus durch die Predigt des Evangelii, und redet getrost; aber niemand will es fast mehr hören. So wird’s auch geschehen, dass Gott den Himmel wird zuschließen, und die Hölle aufschließen, dass die Leute mit Haufen werden hinein fahren müssen, weil sie jetzt nicht in den Himmel wollen, weil er offen steht. Darum lasset uns fleißig hören, weil Gott mit uns redet, auf dass er sein Wort nicht hinwegnehme, und stille schweige. Nimmt er sein Wort hinweg, und schweigt stille, so ist’s mit uns aus.“ (Martin Luther) 

 

„Wir lesen in der Meditation den uns gegebenen Text auf die Verheißung hin, dass er uns ganz persönlich für den heutigen Tag und für unsern Christenstand etwas zu sagen habe, dass es nicht nur Gottes Wort für die Gemeinde, sondern auch Gottes Wort für mich persönlich ist. Wir setzen uns dem einzelnen Satz und Wort so lange aus, bis wir persönlich von ihm getroffen sind. Damit tun wir nichts anderes, als was der schlichteste, ungelehrteste Christ täglich tut, wir lesen Gottes Wort als Gottes Wort für uns. Wir fragen also nicht, was dieser Text andern Menschen zu sagen habe, für uns Prediger heißt das, wir fragen nicht, wie wir über den Text predigen oder unterrichten würden, sondern was er uns selbst ganz persönlich zu sagen hat. Dass wir dazu den Text erst einmal seinem Inhalt nach verstanden haben müssen, ist gewiss, aber wir treiben hier nicht Textauslegung, nicht Predigtvorbereitung, nicht Bibelstudium irgendwelcher Art, sondern wir warten auf Gottes Wort an uns. Es ist kein leeres Warten, sondern ein Warten auf klare Verheißung hin. Oft sind wir so belastet und überhäuft mit andern Gedanken und Bildern, Sorgen, dass es lange dauert, ehe Gottes Wort das alles beiseite geräumt hat und zu uns durchdringt. Aber es kommt gewiss, so gewiss Gott selbst zu den Menschen gekommen ist und wiederkommen will. Eben darum werden wir unsere Meditation mit dem Gebet beginnen, Gott wolle seinen Heiligen Geist durch sein Wort zu uns senden und uns sein Wort offenbaren und uns erleuchten.“ (Dietrich Bonhoeffer)